AG Hamburg-St. Georg 970 VI 1412/19
Vertragsmäßigkeit der Wahl des Errichtungsstatuts in einem Erbvertrag und der Wahl des geltenden Rechts

12.05.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

AG Hamburg-St. Georg
15.07.2022
970 VI 1412/19
ZErb 2022, 404

Leitsatz | AG Hamburg-St. Georg 970 VI 1412/19

  1. Die Wahl des anzuwendenden Erbrechts kann nach § 2278 Abs. 2 BGB grundsätzlich vertragsmäßig getroffen werden. Erfolgt die Erbeinsetzung in einem Erbvertrag in Form einer vertragsmäßigen Verfügung, ist auch eine konkludente Rechtswahl grundsätzlich als vertragsmäßige Verfügung für das Errichtungsstatut anzusehen.
  2. Für die Frage, ob eine Verfügung als vertragsmäßige Verfügung zu qualifizieren ist, ist der Wille der Vertragsparteien entscheidend. Damit die ausdrücklich vertragsmäßig vereinbarte Erbeinsetzung diese Bindungswirkung entfalten kann, muss auch das Sachrecht, welches die Bindung bereitstellt, hier also das deutsche Recht, als vertragsmäßig vereinbart in diesem Sinne angesehen werden. Ansonsten könnte man die Bindungswirkung durch eine Änderung des Sachrechts „durch die Hintertür“ wieder beseitigen. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Parteien ausdrücklich vereinbart haben, dass die Rechtswahl nicht vertragsgemäß sein soll.

(Leitsätze Quelle: Fachdienst Erbrecht 2022, Ausgabe 11, 454121)

Sachverhalt | AG Hamburg-St. Georg 970 VI 1412/19

Der Erblasser E besaß sowohl die deutsche als auch die südafrikanische Staatsbürgerschaft und verstarb in Südafrika. Dort hatte er auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt. Die Mutter M des Erblassers war deutsche Staatsbürgerin und für ihr Erbe wurde die B als Nachlasspfleger bestellt. B selbst stand zu ihren Lebzeiten unter Betreuung des Erblassers E. Der Zeuge K fungierte als Ersatzbetreuer.
1976 errichtete der E ein handschriftliches Testament in dem er für den Fall, dass er ledig und „unbekindert“ versterben sollte, seine Mutter M als Alleinerbin einsetzte. Das Testament enthält auch eine Regelung zu Ersatzerben und weitere Regelungen sind in einem Nachtrag aus 1977 getroffen worden. Der E hatte eine Lebensgefährtin, die T, die er 2014 kennenlernte.

Im Mai 2018 schlossen E und M zur Urkunde bei einem Notar einen Erbvertrag, in dem sie sich jeweils gegenseitig zu alleinigen Erben einsetzten und alle bisher getroffenen Verfügungen von Todes wegen widerriefen. Es heißt darin wörtlich:

„Die beiderseitigen Verfügungen sollen vertragsgemäß sein. Über die durch diesen Erbvertrag eintretenden Bindungen wurden wir vom beurkundenden Notar belehrt. … Auf die Bedeutung und die Auswirkung eines Erbvertrages, namentlich darauf, dass die erbvertraglichen Bestimmungen einseitig weder aufgehoben, noch abgeändert werden können, wurden wir … vom Notar hingewiesen. “.

Der geschlossene Erbvertrag enthält jedoch keine Rechtswahlklausel und auch kein Rücktrittsrecht.

Am selben Tag beurkundete der selbe Notar auch ein Schenkungsversprechen des E gegenüber dem Zeugen K bezüglich eines Forstguts, welches die Mutter ursprünglich schenkweise übertragen hatte. Der E hatte diese Übertragung in Prozessstandschaft für seine Mutter angefochten und im Falle dass die Rückübertragung an seine Mutter erfolgen würde, versprach er dem K bestimmte Ländereien.
Im Juni 2018 machte der E dann seiner Lebensgefährtin einen Heiratsantrag.

Am 29. Januar 2019 errichtete E nun ein neues Testament in dem er die Lebensgefährtin als Alleinerbin einsetzte und den P als Testamentsvollstrecker für seinen in Südafrika befindlichen Nachlass bestimmte. Für den in Deutschland und der Schweiz befindlichen Nachlass setzte er den Beteiligten zu 1 ein. Das Testament ist maschinengeschrieben, vom E und zwei Zeugen unterschrieben und es enthält keine Rechtswahlklausel. Am selben Tag heiratete der E seine Lebensgefährtin und veranlasste, dass deren minderjährige Tochter durch ihn adoptiert werde.

Es ist streitig, ob der E zum Zeitpunkt der Errichtung dieses letzten Testaments und der darauf folgenden Heirat und Adoption testierfähig, bzw. geschäftsfähig war. Der E litt an Prostatakrebs und im Zuge der Behandlung kam es zu einer Lungenentzündung. Die Ärztin Dr. van D. bescheinigte, dass der E am 29.01.2019 nicht in der Lage war seinen Angelegenheiten nachzukommen und in einem weiteren Schreiben der Ärztin heißt es, dass der E ab dem 25.01.2019 an ein Atemgerät (ECMO) angeschlossen war, das für ihn die Atemfunktion übernahm und weshalb auch keine Sedierung nötig war. Am 27.01.2019 habe man ihn schließlich extubieren können und ab diesem Zeitpunkt sei der E auch wieder wach gewesen und habe klar kommunizieren können. Zur Zeit der Heirat habe er unter keinerlei sedierenden Medikamenten gestanden.

Die Lebensgefährtin des E erklärte mit Schreiben vom 01.04.2019 die Anfechtung des Erbvertrags gestützt auf §§ 2079, 2080 BGB. Mit Schreiben vom 10.08.2020 und 30.08.2021 teilte der Beteiligte zu 1 mit, dass auch die M (Tochter der Lebensgefährtin) den Erbvertrag angefochten habe.

Der Beteiligte zu 1 stellte am 16.05.2019 zur Urkunde bei einem Notar einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins, wonach die Lebensgefährtin des E aufgrund des Testaments vom 29.01.2019 Alleinerbin des E geworden ist. In dem Erbscheinsantrag wird der Erbvertrag vom Mai 2018 zwischen E und seiner Mutter nicht erwähnt. Weiterhin enthält der Erbscheinsantrag entgegen § 352 I Nr. 5 FamFG auch sonst keine weiteren Angaben zu der Frage, ob noch weitere Verfügungen von Todes wegen vorhanden sind.

Das Gericht teilte am 20.11.2019 mit seiner Verfügung mit, dass der Erbscheinsantrag in der Fassung vom 16.05.2019 keine Aussicht auf Erfolg hab. Daraufhin ergänzte der Beteiligte zu 1 die Urkunde mit seinem Erbscheinsantrag vom 16.05.2019. Er begehrte darin die Erteilung eines Fremdrechtserbscheins, der auf das in Deutschland befindliche Nachlassvermögen beschränkt ist. Weiterhin heißt es in der Ergänzung, dass der Erbvertrag durch die Ehefrau/Lebensgefährtin angefochten worden sei.

Der Beteiligte zu 2 stellte nun am 10.09.2020 in seiner Eigenschaft als Nachlasspfleger für die unbekannten Erben der Frau B (die Nachlasspflegerin der Mutter des E) einen Antrag auf Erteilung des Erbscheins, wonach die B die Alleinerbin des E geworden ist. Der Erbschein sollte vorerst nur auf das Vermögen in Deutschland und der Schweiz beschränkt werden, wurde aber am 23.10.2020 geändert und bezieht sich nun auf den gesamten Nachlass.

Entscheidung | AG Hamburg-St. Georg 970 VI 1412/19

Das angerufene Gericht, AG Hamburg-St. Georg war örtlich und auch international zuständig (Art. 10 I lit. a EuErbVO; § 343 II FamFG).

Hinsichtlich des Erbvertrags und auch für die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen sei deutsches Recht anwendbar. Das Testament, welches der E in Südafrika auf Englisch und im dort typischen Stil errichtet hatte, ändere daran nichts. Der Erbvertrag enthält zwar keine ausdrückliche Rechtswahl, aber wie der Verweis von Art. 25 II EuErbVO auf den Art. 22 EuErbVO zeigt, muss die Rechtswahl auch nicht ausdrücklich erfolgen. Sie kann sich auch aus den Bestimmungen des Erbvertrags ergeben. Insbesondere dann, wenn Bezug auf spezifische Bestimmungen des Rechts eines Staates genommen wird oder das Recht eines Staates erwähnt wird, sei eine Rechtswahl anzunehmen. Worauf sich diese Rechtswahl bezieht (lediglich bzgl. der Zulässigkeit, der materiellen Wirksamkeit oder auch bzgl. der Bindungswirkung des Erbvertrags) müsse durch Auslegung ermittelt werden.

Vorliegend haben die Vertragsparteien das deutsche Recht wählen wollen, was sich daraus ergibt dass der Erbvertrag von den Bindungswirkungen des §§ 2289, 2290 BGB ausgingen und die Bestimmungen des Vertrags nicht einseitig aufhebbar sein sollten. Dies war auch zulässig, der E hatte zwar doppelte Staatsbürgerschaft, aber eben neben der südafrikanischen auch die deutsche. Damit konnten beide Parteien gem. Art. 25 III, 22 I EuErbVO das deutsche Recht als umfassende Rechtswahl wählen.

Weiterhin sei grundsätzlich davon auszugehen, dass die Parteien eine umfassende Rechtswahl treffen wollten Art. 22 EuErbVO und die Erbfolge nicht verschiedenen Rechten unterwerfen wollten.
Der Erbvertrag zwischen E und seiner Mutter ist somit wirksam, sie haben das deutsche Recht gewählt.

Zwar dürfte der E in seinem späteren Testament wohl konkludent das südafrikanische Recht gewählt haben, jedoch könne das Errichtungsstatut nur durch die Parteien des vorgegangenen Erbvertrags gemeinsam abgeändert werden. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut von Art. 26 III EuErbVO, wonach die Rechtswahl durch „die Parteien“ gemeinsam zu erfolgen hat. Und wenn schon die ursprüngliche Rechtswahl durch alle Vertragsparteien zu erfolgen habe, so müsse dies wohl auch für eine nachträgliche Änderung gelten.

Art. 22 III EuErbVO bestimmt zudem, dass die materielle Wirksamkeit der Rechtshandlung, durch die die Rechtswahl vorgenommen wird, dem gewählten Recht unterliegt – also dem deutschen Recht. Somit müsse auch die Wirksamkeit der Rechtshandlung, mit der das gewählte Recht geändert wird, dem deutschen Recht unterliegen. Darum konnte E den Erbvertrag nicht einseitig durch das Testament abändern, weil es sich um bei der Rechtswahl um eine vertragsmäßige Verfügung nach § 2278 I BGB handele. Ob eine Verfügung, die nicht ausdrücklich als vertragsmäßig getroffen bezeichnet ist als eine solche anzusehen ist, ist anhand des Willens der Parteien auszulegen. Der Erbvertrag enthält vorliegend hierzu keinerlei ausdrückliche Regelungen. Jedoch könne aus der Überlegung, dass die Erbeinsetzung eine vertragsmäßige Verfügung war, wohl auch auf die Wahl des Rechts als vertragsmäßig abgestellt werden. Im Endergebnis, so das Gericht, gelte sowohl für das Errichtungsstatut, als auch für das Erbstatut das deutsche Recht.
Gemessen am deutschen Recht sei der Erbvertrag wirksam zustande gekommen.

Der Erbvertrag ist insbesondere auch nicht wirksam angefochten worden, mangels eines Anfechtungsgrundes (insb. kein Anfechtungsgrund aus § 2079 BGB). Hinsichtlich einer Übergehung nach § 2079 BGB sei auf den hypothetischen Willen des Testierenden zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung abzustellen. Dabei sei darauf abzustellen, wie er verfügt haben würde, wenn er hinsichtlich der Person des Pflichtteilsberechtigten die spätere Sachlage (hier die Hochzeit und Adoption) richtig überblickt hätte und auch die Umstände auf sich hätte wirken lassen, die ihn zur Zeit der Errichtung des Testaments zu diesem bewegt haben. Insbesondere spiele es keine Rolle, ob zu diesem Zeitpunkt bereits mit zukünftig entstehenden Pflichtteilsrechten zu rechnen gewesen sei. War zu dieser Zeit bereits absehbar, dass der Erblasser heiraten oder adoptieren werde, so sei regelmäßig davon auszugehen, dass er diesem Umstand bei der Verfügung berücksichtigt habe.

Vorliegend ist somit fraglich, ob der E den Erbvertrag so abgeschlossen hätte, wenn er gewusst hätte, dass er die Lebensgefährtin später heiraten und deren Tochter adoptieren würde. Er lernte seine Lebensgefährtin jedoch vor Abschluss des Erbvertrags kennen, ihr Tochter ebenso. Die Lebensgefährtin sei wohl auch am Tag der Beurkundung des Erbvertrages mit im Büro des Notars gewesen. Es spreche außerdem vieles dafür, dass der E bei Abschluss des Vertrages bereits die Absicht hatte sie zu heiraten, da er ihr den Antrag kurz darauf machte.

Ein weiteres Indiz dafür, dass der E auch trotz späterer Heirat und Adoption den Erbvertrag in genau dieser Weise geschlossen hätte ist, dass er wohl davon ausging seine Mutter zu überleben, weil diese deutlich älter gewesen sei. Dafür spreche auch das Schenkungsversprechen des E gegenüber dem Zeugen K hinsichtlich der Ländereien. Weil der E also davon ausging, dass er seine Mutter überleben würde, habe es für ihn keine Notwendigkeit gegeben seine Lebensgefährtin oder deren Tochter in Rahmen des Erbvertrags zu berücksichtigen. Nach dem Tod seine Mutter hätte er unproblematisch ein neues Testament verfassen können.

Damit ist das Testament des E vom 29.01.2019 bereits deshalb unwirksam, weil es die Rechte seiner Mutter aus dem Erbvertrag beeinträchtigen würde. Daher könne es dahinstehen ob der E zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments überhaupt testierfähig gewesen sei und ob das Testament wirksam errichtet wurde, sowie ob die Heirat und die Adoption wirksam sind. Letztlich ist das Testament des E nach § 2289 BGB unwirksam, damit hat der Antrag des Beteiligten zu 1 keinen Erfolg, weil dieser nicht antragsberechtigt sei wegen des Verstoßes gegen § 2289 BGB.

Praxishinweis | AG Hamburg-St. Georg 970 VI 1412/19

Welches Erbrecht angewandt wird kann nach § 2278 II BGB grds. vertragsmäßig bestimmt werden. Grundsätzlich ist das gewählte Recht sowohl für Errichtungsstatut als auch für Erbeinsetzung anzusehen. Ob eine Verfügung als vertragsmäßige Verfügung anzusehen ist, ist anhand des Willens der Vertragsparteien zu bestimmen. Damit die vertragsmäßig vereinbarte Erbeinsetzung bindend sein kann, muss auch das Sachrecht welches dies regelt als vertragsmäßig vereinbart angesehen werden. So kann eine Änderung des anwendbaren Sachrechts „durch die Hintertür“ verhindert werden. Dies gilt jedoch nicht, wenn ausdrücklich vereinbart wurde, dass die Rechtswahl nicht vertragsgemäß sein soll.