BSG B 12 R 19/19 R; B 12 KR 37/19 R; B 12 R 20/19 R
Befugnis zur Einzelgeschäftsführung eines Minderheitsgesellschafters bedingt alleine keine Selbstständigkeit

13.03.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BSG
01.02.2022
B 12 R 19/19 R; B 12 KR 37/19 R; B 12 R 20/19 R
GmbHR 2022, 1251; GmbHR 2022, 1247; GmbHR 2022, 1254

Leitsatz | BSG B 12 R 19/19 R; B 12 KR 37/19 R; B 12 R 20/19 R

  1. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängiger Beschäftigter angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Minderheitsgeschäftsführer sind grundsätzlich abhängig beschäftigt. (redaktioneller Leitsatz)
  2. Minderheitsgeschäftsführer sind ausnahmsweise nur dann als Selbstständige anzusehen, wenn ihnen nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Eine im Gesellschaftervertrag eingeräumte Befugnis zur Einzelgeschäftsführung genügt nicht, weil sie sich nicht auf die Rechtsmacht als Gesellschafter auswirkt. (redaktioneller Leitsatz)

Sachverhalt | BSG B 12 R 19/19 R; B 12 KR 37/19 R; B 12 R 20/19 R

Die klagenden Geschäftsführer einer GmbH hielten zunächst je ein Fünftel und halten seit 01.01.2016 je ein Drittel der Gesellschaftsanteile. Ihnen ist nach § 7 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Satz 1 und § 9 Abs. 1 Satz 1 des Gesellschaftervertrags jeweils ein Sonderrecht zur einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführung eingeräumt. Gesellschafterbeschlüsse werden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit gefasst (§ 16 Abs. 2 GV). Die GmbH hat einen Aufsichtsrat, der die Geschäftsführung überwacht und u.a. berechtigt ist - mit Zustimmung der Gesellschafterversammlung mit einer 4/5-Mehrheit -, eine Geschäftsordnung für die Geschäftsführer festzulegen. Diese regelt die Handlungen, Maßnahmen und Rechtsgeschäfte, die der Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedürfen. Der Aufsichtsrat ist auch befugt, die Geschäftsführer durch Beschluss oder Vereinbarungen im Anstellungsvertrag von der gesellschaftsrechtlichen Weisungsgebundenheit zu befreien und eine dem Vorstand einer Aktiengesellschaft entsprechende Position des Geschäftsführers zu regeln (§ 8 Abs. 3 GV).

Der Aufsichtsrat schloss mit den Klägern zum 01.08.2015 jeweils gleichlautende Geschäftsführer-Dienstverträge, wonach sie „frei von Gesellschafterweisungen“ handeln. Die von ihm erlassene GO sieht für aufgelistete Angelegenheiten vor, dass die Geschäftsführung in ihrer Gesamtheit entscheidet (§ 3 Abs. 6 GO) und es der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf (§ 5 Abs. 1 GO).
Die beklagte Deutsche Rentenversicherung stellte fest, dass die Tätigkeit der Gesellschafter-Geschäftsführer seit dem 1.8.2015 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde und Versicherungspflicht in der GRV sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe.

Das SG Mannheim hat die Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass keine Sozialversicherungspflicht bestehe. Das LSG Baden-Württemberg hat dieses Urteil aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Die Kläger hätten nicht über eine Sperrminorität verfügt.

Mit ihren Revisionen rügen die Kläger eine Verletzung der §§ 7, 7a SGB IV, § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI und § 25 Abs. 1 SGB III. Das eingeräumte Sonderrecht auf Geschäftsführung habe eine noch stärkere Wirkung als eine Sperrminorität und verhindere ihre Abberufung. Die Möglichkeit, ihre Weisungsfreiheit aus wichtigem Grund aufzuheben, führe nicht zu einer Weisungsgebundenheit, da auch Gesellschafter-Geschäftsführer mit Sperrminorität oder Mehrheitsanteilen aus wichtigem Grund aus der Geschäftsführerposition abberufen werden können. Zudem sei der Entzug nur bei groben Verstößen durch den Aufsichtsrat möglich. Selbst bei der Abberufung des Aufsichtsrats verbleibe ihnen eine umfassende Unabhängigkeit von den Weisungen der Gesellschaft. Die Gesellschafterversammlung könne daher weder direkt noch indirekt den Geschäftsführern Weisungen erteilen. Wegen ihrer Einlage von 15.000 € bestehe ein unternehmerisches Risiko. Auch wegen der ausgeschlossenen Entgeltfortzahlung bei Krankheit, der Anrechnung des Dienstwagenunterhalts auf die Tantieme und fehlender Regelungen zu Ort, Zeit und Umfang der Dienstpflicht läge eine selbstständige Tätigkeit vor.

Entscheidung | BSG B 12 R 19/19 R; B 12 KR 37/19 R; B 12 R 20/19 R

Die Revisionen sind unbegründet. Die Beklagte hat gem. § 7a SGB IV richtig die Versicherungspflicht der Kläger als Gesellschafter-Geschäftsführer und nach dem Recht der Arbeitsförderung festgestellt.
Gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, bei welcher der Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin persönlich abhängig ist. Anhaltspunkte sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Die Weisungsgebundenheit kann v.a. bei Diensten höherer Art eingeschränkt und verfeinert sein. Eine selbstständige Tätigkeit zeichnet sich durch eigenes Unternehmensrisiko und frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit aus. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig ist, richtet sich nach den Umständen, die das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Gesellschaftskapitel beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und sein Einfluss auf die Gesellschaft wesentliche Abgrenzungsmerkmale.

Ein Gesellschafter-Geschäftsführer muss für eine Selbstständigkeit die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen. Dies ist der Fall, wenn er mindesten 50 vH der Anteile am Stammkapital hält. Ein Minderheitsgeschäftsführer ist grundsätzlich abhängig beschäftigt und nur dann als selbstständig anzusehen, wenn ihm eine umfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Er muss in der Lage sein, einen maßgeblichen Einfluss auf alle Gesellschafterbeschlüsse auszuüben und dadurch die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend mitzubestimmen.

Solche Einfluss- und Mitbestimmungsmöglichkeiten hatten die Kläger nicht. Sie waren keine Mehrheitsgesellschafter und hatten auch keine die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität. Eine Sperrminorität für bestimmte Angelegenheiten reicht nicht, auch wenn diese (fast) die gesamte Unternehmenstätigkeit ausmachen. Beschlüsse bedürfen vorliegend i.d.R. der einfachen Mehrheit. Nur in bestimmten Angelegenheiten ist eine qualifizierte Mehrheit vorgesehen, die es den Klägern i.S. einer Sperrminorität erlaubt, die Beschlussfassung zu verhindern. Im Rahmen des bei der Statuszuordnung zu beachtenden Grundsatzes der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände muss klar erkennbar sein, dass bei allen Beschlüssen eine Sperrminorität besteht.

Auch das in § 7 Abs. 2 GV eingeräumte Sonderrecht ändert die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht. Dass die Bestellung der Kläger als Geschäftsführer nicht jederzeit widerruflich ist, ist eine notwendige, jedoch keine ausreichende Voraussetzung für das Vorliegen einer beachtlichen Sperrminorität. Zwar muss ein selbstständiger Gesellschafter-Geschäftsführer „zumindest“ ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern können und die gewöhnliche Geschäftsführung muss jedenfalls von seiner Sperrminorität umfasst sein. Allerdings reicht es nicht für eine Sperrminorität, in der Gesellschafterversammlung Einfluss auf die gewöhnliche Geschäftsführung zu nehmen.

Die Einrichtung eines Aufsichtsrats und die damit einhergehende Überwachung führte nicht zu einem Mehr, sondern zu einem Weniger an Rechtsmacht aufgrund der Gesellschafterstellung.Selbst wenn in den Geschäftsführer-Dienstverträgen eine Freiheit von Weisungen der Gesellschafterversammlung geregelt wäre (was bereits dem Wortlaut nicht klar entnehmbar ist), würde dies nicht ohne Weiteres zur Annahme einer selbstständigen Tätigkeit führen. Denn allein damit ist den Klägern keine umfassende Einflussmöglichkeit auf Beschlüsse der Gesellschafterversammlung und deren unternehmerische Entscheidungen eingeräumt.
Auch das Sonderrecht, das eine Abberufung nur aus wichtigem Grund erlaubt, vermag die erforderliche Rechtsmacht nicht zu begründen. Schließlich kann es die Abberufung gerade nicht verhindern und der Geschäftsführer darf nicht in eigener Sache mitbestimmen. Schließlich führt die Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats nach § 5 Abs. 1 GO zu bestimmten Maßnahmen nicht zu einer die Selbstständigkeit begründenden Rechtsmacht der beiden anderen Geschäftsführer.

Auch die von den Klägern geltend gemachten Verlust- und Haftungsrisiken sowie die vertragliche Ausgestaltung der Geschäftsführertätigkeit rechtfertigen es nicht, von einer selbstständigen Tätigkeit auszugehen, die weder durch eine Weisungsgebundenheit noch eine Eingliederung gekennzeichnet ist.

Praxishinweis | BSG B 12 R 19/19 R; B 12 KR 37/19 R; B 12 R 20/19 R

Das BSG hat am 01.02.2022 zwei weitere Urteile zu Statusfeststellungen von Gesellschafter-Geschäftsführern im Einklang mit der obigen Entscheidung erlassen. Zum Teil wortgleich enthalten sind u.a. Ausführungen zur Differenzierung zwischen unselbstständiger und selbstständiger Arbeit. Auch ist ausgeführt, dass eine Sperrminorität für bestimmte Angelegenheiten, die (fast) die gesamte Unternehmenstätigkeit ausmachen, nicht ausreichend ist. Abweichungen bestehen hauptsächlich im Hinblick auf unterschiedlicher Sonderrechte, auf die kurz hingewiesen wird.

 

BSG B 12 KR 37/19 R (DStR 2022, 1624)

In diesem Fall stand dem Kläger zusätzlich gem. § 13 Abs. 2 GV ein Sonderrecht zu, nachdem er für die Dauer seiner Beteiligung einzelvertretungsberechtigter, von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiter Geschäftsführer war oder einen solchen benennen konnte. Laut BSG verhindert zwar das Sonderrecht die jederzeitige Abberufung des Klägers als Geschäftsführer und schränkt womöglich Weisungen im Bereich der gewöhnlichen Geschäftsführung ein. Es überträgt dem Kläger aber keine Gestaltungsmacht, kraft derer er auf alle Gesellschafterentscheidungen und damit auf die gesamte Unternehmenspolitik Einfluss nehmen könnte. Denn das Sonderrecht begründet weder eine besondere Einflussmöglichkeit, noch verdrängt es den Zustimmungsvorbehalt. Die vom Kläger aus dem Sonderrecht abgeleitete Möglichkeit, sich gegenüber der Gesellschafterversammlung sanktionslos weisungswidrig zu verhalten, vermag die in der Satzung geregelten Mehrheitsverhältnisse nicht zugunsten des Klägers zu verschieben und ist daher für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung genauso irrelevant wie die faktisch alleinige Führung einer Gesellschaft durch einen Minderheitsgesellschafter im Einvernehmen mit anderen Gesellschaftern.