KG 12 AktG 3/23
Begründetheit des Freigabeantrags bei Ausbleiben des fristgerechten Nachweises des Bagatellquorums trotz unstreitig ausreichenden Anteilsbesitzes

13.06.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

KG
25.09.2023
12 AktG 3/23
NZG 2024, 352

Leitsatz | KG 12 AktG 3/23

  1. Im Rahmen eines Freigabeantrags (hier nach § 16 Abs. 3 UmwG) muss der Antragsgegner auch dann seine Mindestbeteiligung fristgemäß nachweisen, wenn das Erreichen des Quorums unstreitig ist.
  2. Die Pflicht des Vorstands und des Aufsichtsrats einer AG aus § 124 Abs. 3 S. 1 AktG, zu jedem Gegenstand der Tagesordnung einen Beschlussvorschlag zu machen, besteht nicht, wenn ein Aktionär lediglich einen abweichenden Gegenantrag zu einem Beschlussvorschlag der Verwaltung macht.
  3. Die Verwaltung der Aktiengesellschaft ist nicht an ihren eigenen Beschlussantrag gebunden, sondern kann sich einem Gegenvorschlag der Aktionäre anschließen (Anschluss an OLG Hamm 28.02.2005 – 8 W 6/05, BeckRS 2005, 4157).
  4. Die Auslagepflichten nach §§ 125 Abs. 1 S. 1 Nr.3, 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwG sind auch dann erfüllt, wenn der Verschmelzungsbeschluss zu einem abgeänderten Vertragstext gefasst wird.

 

Sachverhalt | KG 12 AktG 3/23

Die D AG beschloss im März 2023 die Zustimmung zu einem Abspaltungs- und Übernahmevertrag mit der L AG. Da die D AG zu dieser Zeit keine operativ sinnvollen Anlagemöglichkeiten für ihre hohen „freien“ Mittel sah, sollte durch eine Spaltung einerseits ihre erfolgreiche operative Geschäftstätigkeit fortgesetzt und andererseits wesentlich „freies“ Vermögen auf die L AG als 100%ige Tochtergesellschaft der D AG übertragen werden. Nach der Spaltung sollten alle Aktionäre in gleicher Höhe an der L AG beteiligt sein. Der Beschluss basiert auf einem Aktionärsantrag, der eine deutliche höhere Zahlung an die Tochtergesellschaft vorsah, als der Verwaltungsvorschlag. Dieser, sowohl als Gegenantrag gem. § 126 AktG als auch als Ergänzungsverlangen nach § 122 Abs. 2 AktG gestellter, Antrag wurde sowohl als Gegenantrag als auch als eigener TOP veröffentlicht. Gegen die Beschlussfassung erhob ein Aktionär Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage vor dem LG Berlin. Die beklagte AG begehrte sodann Freigabe des Hauptversammlungsbeschlusses gemäß § 16 Abs. 3 UmwG. Ihr Antrag hatte Erfolg.

Entscheidung | KG 12 AktG 3/23

Der Antrag ist begründet, da der klagende Aktionär entgegen § 16 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 UmwG nicht binnen einer Woche nach Zustellung des Antrags durch Urkunden nachgewiesen hat, dass er seit der Bekanntmachung der Einberufung einen anteiligen Betrag von mindestens 1.000 EUR hält. Diese materiell-rechtliche Regelung ist nicht dadurch gegenstandslos, dass die D AG in ihrer Antragsschrift dem Vortrag des klagenden Aktionärs nicht entgegengetreten ist, dass dieser mit einer Beteiligung von mehr als 20.000 EUR am Grundkapital der AG beteiligt ist.

Es ist umstritten, ob der Nachweis der Beteiligung entbehrlich ist, wenn das Erreichen des Quorums unstreitig ist. Im Hinblick auf § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG wird in Rechtsprechung und Literatur überwiegend die Ansicht vertreten, dass der Nachweis der Beteiligung innerhalb der Wochenfrist auch dann erforderlich ist, wenn der Aktienbesitz unstreitig ist oder sich aus dem eigenen Vortrag des Antragstellers ergibt. Nach der Gegenansicht soll ein Nachweis in einem solchen Fall entbehrlich sein, da er kein Selbstzweck sei und das maßgebliche Kriterium das Erreichen des Quorums und nicht der Nachweis sei. Dem folgt der Senat nicht. Bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt sich, dass der Nachweis das maßgebliche Freigabekriterium ist und nicht der Anteilsbesitz, denn nach § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG ergeht ein Beschluss nach Abs. 1 der Vorschrift, wenn der Kläger nicht binnen einer Woche nach Zustellung des Antrags den Anteilsbesitz nicht durch Urkunden nachgewiesen hat. Käme es allein auf das tatsächliche Bestehen des Anteilsbesitzes an, hätte es dieser Formulierung nicht bedurft. In diesem Fall hätte der zweite Halbsatz des § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG genügt, wonach ein Freigabebeschluss ergeht, wenn der Kläger nicht einen anteiligen Betrag von mindestens 1.000 EUR hält. Auch die systematische Stellung des Nachweiserfordernisses in der Aufzählung des § 246a Abs. 2 AktG als eine von drei Alternativen lässt den Schluss zu, dass es sich hierbei, ebenso wie bei den anderen beiden Alternativen, um ein materielles Freigabekriterium handelt. Weiterhin spricht gegen ein Verständnis des Nachweises als entbehrliche Regelung, dass es sich bei der Wochenfrist des § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist handelt, die nicht verlängert werden kann und auch nicht der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zugänglich ist. Der Kläger kann die Freigabe also nur binnen einer Woche nach Zustellung des Freigabeantrags verhindern. Damit ist die  Deutung des Nachweises als bloße Verfahrensvorschrift nicht vereinbar. Der geforderte Nachweis steht nicht zur Disposition der Parteien.

Der Freigabeantrag ist vorliegend auch nach § 16 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 UmwG begründet, da die erhobene Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage offensichtlich unbegründet ist. Der angefochtene Beschluss ist in Übereinstimmung mit dem materiellen Recht gefasst worden.

Es liegt kein Verstoß gegen § 124 Abs. 3 S. 1 AktG vor. Es bestand keine Pflicht, einen eigenen Beschlussvorschlag zu unterbreiten, da es lediglich um einen Gegenantrag zu einem Verwaltungsvorschlag i.S.d. § 126 Abs. 1 AktG gehandelt hat. Im Unterschied zu einem Antrag nach § 122 Abs. 2 AktG, einen weiteren Gegenstand auf die Tagesordnung zu setzen, weicht ein Gegenantrag nur inhaltlich von dem von der Verwaltung vorgeschlagenen Beschluss ab, ohne dass dadurch der Beschlussvortrag der Verwaltung in seinem Wesen verändert wird. Des Weiteren bestand keine Bindungspflicht der Verwaltung an ihren eigenen Beschlussantrag. Die Verwaltung kann sich einem von einem Aktionär gestellten Gegenantrag anschließen und einem abweichenden Vertragsentwurf auf der Grundlage eines Gegenantrags grundsätzlich zustimmen. Auch liegt kein Verstoß gegen Auslagepflichten nach § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwG vor. Für die Einhaltung der Monatsfrist des § 63 Abs. 1 UmwG ist es unschädlich, dass der Entwurf des Verschmelzungsvertrages den Gegenantrag noch nicht enthielt, denn der Gegenantrag wurde noch rechtzeitig innerhalb der Fristen gem. §§ 63 Abs. 1 Nr. 1, 61 S. 3 UmwG veröffentlicht. Wird nur ein Entwurf ausgelegt, wird die Auffassung vertreten, dass dieser inhaltlich dem später zugestimmten Verschmelzungsvertrag entsprechen muss. Die andere – wohl überzeugendere Ansicht – stellt fest, dass dann, wenn der Verschmelzungsbeschluss zu einem anderen Vertragstext verfasst wird, dies nicht die Rechtswidrigkeit des Beschlusses zur Folge hat, weil der Text nicht auslag. Gesetzeszweck der §§ 61 ff. UmwG ist es, den Aktionären ausreichend Zeit einzuräumen, um sich mit dem Verschmelzungsvertrag auseinandersetzen zu können, bevor die Versammlung stattfindet. Somit soll es den Aktionären ermöglicht werden, eine Entscheidung treffen zu können, die auf fundierten Informationen basiert. Außerdem soll dem Registergericht die Möglichkeit gegeben werden, den Vertragsentwurf vorab zu prüfen. Wird der Gegenantrag rechtzeitig veröffentlicht, ist dem Schutzzweck der Aktionäre hinreichend Rechnung getragen. Wäre der Entwurf nicht mehr verhandelbare, würde das Recht der Aktionäre, an dem vom Vorstand ausgehandelten Vertragsangebot Änderungen zu verlangen, faktisch abgeschnitten.

Praxishinweis | KG 12 AktG 3/23

Im Hinblick auf § 246a Abs. 3 AktG verweist das KG im Wesentlichen auf seine Sicht der Dinge. Es spricht aber auch an, dass es mit dem ARUG II dort eine Gesetzesänderung dahingehend gab, dass die Mindestbeteiligung von 1.000 EUR durch Urkunden „oder durch einen Nachweis nach § 67c Abs. 3“ AktG zu belegen ist. Eine Bestätigung durch den Letztintermediär ist demnach nicht erforderlich, wenn dem Emittenten die berechtigte Position bekannt ist oder vom ersten Intermediär übermittelt wird. Drescher folgert daraus, dass bei einem über dem Quorum liegenden Aktienbesitz ein Nachweis erübrigt, wenn bei Namensaktien die Gesellschaft das Aktienregister führt und den Aktienbestand des Klägers bereits im Antrag mitteilt oder wenn ein entsprechender Aktienbesitz des Antragsgegners von der Antragstellerin vorgetragen wird (Henssler / Strohn / Drescher, GesR, 5. Auflage 2021, § 246a AktG Rn. 7a). Das KG stellt diesbezüglich klar, dass § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG weiterhin ausdrücklich einen Nachweis fordert und lediglich die Möglichkeit eröffnet, einen solchen nach § 67c Abs. 3 AktG vorzulegen (Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2024, 241).