OLG Hamm 8 U 158/22
Bestimmung der Abschlagszahlung auf den Abfindungsanspruch eines Kommanditisten

21.06.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Hamm
05.07.2023
8 U 158/22
NZG 2024, 388

Leitsatz | OLG Hamm 8 U 158/22

  1. Für den Antrag auf Zahlung eines Abschlags auf die dem aus einer GmbH & Co. KG ausscheidenden Kommanditisten zustehende Abfindung besteht ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis vor den ordentlichen Gerichten, auch wenn der Gesellschaftsvertrag für die endgültige Bestimmung der Abfindung ein Schiedsverfahren vorsieht.
  2. Eine teilweise einseitige Erledigungserklärung kann nach dem Interesse der Parteien als privilegierte Klagerücknahme mit Kostenantrag gegen die Beklagte gem. § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO ausgelegt werden, wenn der mit einem Mahnantrag geltend gemachte, für erledigt erklärte Teil nicht rechtshängig geworden ist.
  3. Die Rechtshängigkeitsfiktion des § 696 Abs. 3 ZPO dient anderen Zwecken als die Regelungen der §§ 263 f. ZPO, so dass eine Klageerweiterung im Rahmen der Anspruchsbegründung gem. § 697 ZPO unabhängig von der Abgabe „alsbald“ zuzulassen ist.
  4. Ob und in welchem Rahmen eine vertraglich vereinbarte Leistung gem. § 315 BGB durch eine Partei zu bestimmen ist, ist aufgrund von Wortlaut, Systematik und Umständen der Vereinbarung sowie nach dem Zweck des betroffenen Anspruchs (hier: des Anspruchs auf Abschlagszahlung) und des Leistungsbestimmungsrechts im Wege der Auslegung zu begründen. Hat die Bestimmung nach dem Maßstab der „Angemessenheit“ zu erfolgen, spricht dies dafür, dass die Parteien damit dem gesetzlichen Maßstab des „billigen Ermessens“ entsprechen wollen.
  5. Dem Wortlaut und Zweck gemäß handelt es sich bei einer Abschlagszahlung auf eine Abfindung um eine Vorauszahlung auf eine dem Gläubiger bereits zustehende, aber noch nicht fällige Leistung. Anders als bei einer Vorauszahlung oder einem Vorschuss geht es bei der Abschlagszahlung um dem Gläubiger bereits zustehendes oder „verdientes“ Geld.
  6. Das Leistungsbestimmungsrecht wird der Gesellschaft im Hinblick auf die allein hinsichtlich der Höhe der geschuldeten Abfindung noch bestehende Unsicherheit eingeräumt. Ist der Abschlag als 30%-Anteil festgelegt, bezieht sich das Ermessen der Gesellschaft daher allein auf die Berechnungsgrundlage, also die Höhe des Abfindungsbetrags.
  7. Die Leistungsbestimmung der beklagten Gesellschaft ist unbillig und gem. § 315 Abs. 3 S. 1 BGB unverbindlich sowie durch das Gericht auszuüben, wenn das Ermessen der Beklagten ausgefallen ist, weil sie, statt eine vertragsgemäße Entscheidung über die Abschlagszahlung vorzunehmen, dem Kläger allein die gesellschaftsvertraglich geschuldete Steuererstattung gewährt und diese teilweise lediglich geringfügig aufgerundet.
  8. § 308 Abs. 1 ZPO hindert das Gericht nicht daran, einen anders als in der Anspruchsbegründung errechneten und zusammengesetzten Abfindungsabschlag zuzusprechen. Setzt sich der einheitliche Streitgegenstand aus einzelnen (unselbständigen) Rechnungsposten zusammen, darf das Gericht Einzelposten mit höheren Beträgen einstellen, solange nur die beantragte Summe nicht überschritten wird.

Sachverhalt | OLG Hamm 8 U 158/22

Der Kl. begehrt von der Bekl. die Zahlung eines weiteren Abschlags auf seine Abfindung, nachdem er am 31.12.2020 aus der Bekl. als Kommanditist ausgeschieden ist.

Der Gesellschaftsvertrag der KG (GesV) regelte, dass einem ausscheidenden Gesellschafter ein Abfindungsanspruch in Höhe von 75 % des Verkehrswerts der Geschäftsanteile zusteht. Können sich die Gesellschafter nicht binnen drei Monaten über die Höhe der Abfindung einigen, ist dieses von einem Wirtschaftsprüfer als Schiedsgutachter festzulegen. Die Abfindung ist in fünf Jahresraten zu bezahlen. Der ausscheidende Gesellschafter kann jedoch jederzeit mindestens den Betrag verlangen, der seiner von ihm nachgewiesenen Steuerzahlungsverpflichtung aufgrund des Ausscheidens abzüglich bisheriger Raten entspricht, wenn und sobald diese Zahlung fällig ist. Weiter sah der Gesellschaftsvertrag vor, dass eine von der Gesellschaft zu bestimmende angemessene Abschlagszahlung zu leisten, wenn acht Monate nach Ausscheiden des Gesellschafters die Höhe der Abfindung noch nicht feststeht.

Nachdem die Parteien sich über die Höhe der Abfindung nicht einigen konnten, hat der Kl. das Schiedsverfahren gemäß GesV eingeleitet. Ein Schiedsgutachten liegt bisher nicht vor.

Mit Bescheid vom 07.07.2021 hat das Finanzamt gegenüber dem Kl. Steuervorauszahlungen i.H.v. 2.331.782 EUR geltend gemacht. Der Kl. bat die Gesellschaft um Ausgleich nach den Bestimmungen des GesV. Mit Datum vom 27.08.2021 beantragte der Kl. mit der Angabe „Steuererstattungsansprüche“ einen Mahnbescheid über diesen Betrag, der am 31.8.2021 erlassen und der Bekl. zugestellt wurde. Daraufhin zahlte die Bekl. an den Kl. einen Betrag von 2.400.000 EUR für den Verwendungszweck „Abfindung/Steuervorauszahlung“. Die Bekl. legte unter dem 13.9.2021 Widerspruch gegen den Mahnbescheid ein.

In seiner Anspruchsbegründung vom 14.12.2021 erklärte der Kl. den Rechtsstreit wegen des im Mahnverfahren geltend gemachten Betrags für erledigt. Zugleich begehrte er nunmehr die Zahlung weiterer 2.077.500 EUR. Er stützt dies darauf, dass ihm nach dem GesV ein Anspruch auf eine Abschlagszahlung auf die zu erwartende Abfindung i.H.v. mindestens 4.477.500 € zustehe. Abzüglich des von der Beklagten gezahlten Betrags ergebe sich die Klageforderung (4.477.500 € – 2.400.000 € = 2.077.500 €).

Gegen das abweisende, erstinstanzliche Urteil wendet sich der Kläger im Wege der Berufung.

Entscheidung | OLG Hamm 8 U 158/22

Zunächst stellt das OLG Hamm fest, dass die Klage zulässig ist.

Das LG habe das Rechtsschutzbedürfnis des Kl. zurecht bejaht. Während das Schiedsverfahren die endgültige Festlegung der Abfindungssumme zum Gegenstand habe, gehe es dem Kl. mit der vorliegend begehrten Abschlagszahlung um eine vertraglich vereinbarte Zwischenlösung, die gegenüber der Abfindung etwas anderes (ein aliud) sei. Müsste sich der Kl. auf die endgültige Bestimmung des Abfindungsbetrags (und dessen klageweise Durchsetzung) verweisen lassen, liefe die Vereinbarung über die Abschlagszahlung vollständig leer.

Hinsichtlich einer (etwaigen) Klägeänderung bzw. -erweiterung durch die (Teil-) Erledigungserklärung des Kl. vom 14.12.2021 stellt das OLG fest, dass eine einseitige Erledigungserklärung des Kl. regelmäßig dahin zu verstehen sei, dass er den ursprünglichen Antrag ändert und nunmehr die Feststellung begehrt, die Klage sei im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses zulässig und begründet gewesen. Vorliegend sei der Antrag jedoch als Kostenantrag gem. § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO nach Klagerücknahme vor Rechtshängigkeit anzusehen. Das sei insbesondere anzunehmen, wenn der mit dem Mahnantrag geltend gemachte (Teil-) Anspruch – wie hier – nicht rechtshängig geworden ist.

Der Kl. habe seine Klage außerdem in zulässiger Weise erweitert, da die Klage – ausgehend von der Rechtsansicht des LG – im Zeitpunkt der Klageänderung noch nicht rechtshängig und die Rechtshängigkeit auch nicht gem. § 696 Abs. 3 ZPO anzunehmen gewesen sei. Vor Rechtshängigkeit sei eine Änderung des Gegenstands nicht nach §§ 263 f. ZPO zu beurteilen. Da die Rechtshängigkeitsfiktion des § 696 Abs. 3 ZPO anderen Zwecken diene als die Regelungen der §§ 263 f. ZPO, sei eine Klageerweiterung im Rahmen der Anspruchsbegründung gem. § 697 ZPO unabhängig von der Abgabe „alsbald“ zuzulassen.
Darüber hinaus ist die Klage (teilweise) begründet. Dem Kl. stehe der geltend gemachte Anspruch auf Abschlagszahlung i.H.v. 596.420,79 EUR zu.

Ob und in welchem Rahmen eine vertraglich vereinbarte Leistung gem. § 315 BGB durch eine Partei zu bestimmen ist, sei aufgrund von Wortlaut, Systematik und Umständen der Vereinbarung sowie nach dem Zweck des betroffenen Anspruchs (hier: Anspruch auf Abschlagszahlung) und des Leistungsbestimmungsrechts im Wege der Auslegung zu begründen. Erfolgt die Bestimmung der Leistung nach dem Maßstab der „Angemessenheit“, liege darin eine Verweisung auf die Interessen der Parteien und den Gedanken der Verhältnismäßigkeit. In solchen Fällen wollen die Parteien dem gesetzlichen Maßstab des „billigen Ermessens“ entsprechen. Weiterhin sei im Rahmen der Auslegung der Zweck des Anspruchs zu berücksichtigen. Dem Wortlaut und Zweck gemäß handle es sich bei einer Abschlagszahlung auf eine Abfindung um eine Vorauszahlung auf eine dem Gläubiger bereits zustehende, aber noch nicht fällige Leistung. Anders als bei einer Vorauszahlung oder einem Vorschuss gehe es bei der Abschlagszahlung um dem Gläubiger bereits zustehendes oder „verdientes“ Geld. Daher sei die Leistungsbestimmung durch die Bekl. allein dadurch gerechtfertigt, dass die Höhe der Abfindung noch nicht feststeht. Das spreche dafür, das Ermessen der Bekl. eng zu umgrenzen.

Das Leistungsbestimmungsrecht werde der Gesellschaft im Hinblick auf die noch bestehende Unsicherheit allein hinsichtlich der Höhe der geschuldeten Abfindung eingeräumt. Ist der Abschlag – in Anlehnung an die erste zu zahlende Rate – als 30 %-Anteil festgelegt, beziehe sich das Ermessen der Gesellschaft daher allein auf die Berechnungsgrundlage, also die Höhe des Abfindungsbetrags. Das sei zweckgerecht, da die Unsicherheit über diese Höhe allein der Anlass für die Verzögerung ist, die den Abschlagsanspruch begründet.

Abschließend hält der Senat fest, dass die Leistungsbestimmung der beklagten Gesellschaft unbillig und daher gem. § 315 Abs. 3 S. 1 BGB unverbindlich sei. Vorliegend sei das Ermessen der Beklagten ausgefallen ist, weil sie, statt eine vertragsgemäße Entscheidung über die Abschlagszahlung vorzunehmen, dem Kläger allein die gesellschaftsvertraglich geschuldete Steuererstattung gewährt und diese teilweise lediglich geringfügig aufrundet, sodass die Leistungsbestimmung gem. § 315 Abs. 3 S. 2 vom Gericht zu treffen sei. Hierzu sei von der prospektiven Höhe der Abfindungszahlung auszugehen.

Praxishinweis | OLG Hamm 8 U 158/22

Das OLG Hamm hat die zahlreichen prozessualen und materiell-rechtlichen Probleme des vorliegenden Falles nachvollziehbar gelöst.

Doch stellt sich abschließend die Frage, ob es zulässig war, dass das OLG dem Kläger einen Anspruch auf Abschlagszahlung i.H.v. 596.420,79 EUR zugesprochen hat – einen anderen Betrag als in der Berufungsinstanz vom Kläger gefordert. Hierzu führt der Senat aus, dass § 308 Abs. 1 ZPO das Gericht nicht daran hindere, einen anderen als den in der Anspruchsbegründung errechneten und zusammengesetzten Abfindungsabschlag zuzusprechen. Setzt sich der einheitliche Streitgegenstand aus einzelnen (unselbstständigen) Rechnungsposten zusammen, darf das Gericht Einzelposten mit höheren Beträgen einstellen, solange nur die beantragte Summe nicht überschritten wird.

Erwähnenswert an dieser Stelle ist auch, dass dem Kläger – nach Ansicht des OLG Hamm – kein Zinsanspruch auf die geltend gemachte Summe zustand. Da der Zahlungsanspruch des Kl. erst aufgrund der Leistungsbestimmung nach § 315 BGB entsteht, die im Fall der Ersetzung durch das Gericht mit Rechtskraft des Gestaltungsurteils eintritt, kommt mangels Fälligkeit ein Anspruch auf Verzugszinsen nicht in Betracht.