BGH II ZR 220/22
Rechtsschein des entlassenen Geschäftsführers entfällt nur bei positiver Kenntnis - keine Vertretungsmacht bei Missbrauch

28.06.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
09.01.2024
II ZR 220/22
BeckRS 2024, 3239

Leitsatz | BGH II ZR 220/22

  1. Die Berufung auf die fehlende Eintragung einer eintragungspflichtigen Tatsache ist dem Dritten gemäß § 15 Abs. 1 HGB nur dann verwehrt, wenn er positive Kenntnis von der einzutragenden Tatsache hat; ein Kennenmüssen oder eine grob fahrlässige Unkenntnis genügen demgegenüber nicht.
  2. Die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht gelten auch im Anwendungsbereich des Rechtsscheintatbestands des § 15 Abs. 1 HGB.

Sachverhalt | BGH II ZR 220/22

Die Klägerin ist eine GmbH mit einem Stammkapital von 25.000 €. Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist u.a. die Projektentwicklung im Bauhaupt- und Nebengewerk. An der Gesellschaft sind die C-GmbH als Mehrheitsgesellschafterin (Geschäftsanteil mit Nennbetrag von 16.250 €) und die B-GmbH & Co. KG (8.750 €) beteiligt.

In 2015 erwarb die Klägerin ein bebautes Grundstück mit einem Verkehrswert von etwa 16 Mio. €, das im weiteren Verlauf den einzig wesentlichen Vermögensgegenstand der Klägerin darstellte. 2017 erklärte der Geschäftsführer der Klägerin gegenüber der Mehrheitsgesellschafterin, er werde keine Veräußerung, Belastung, vertragliche Bindung oder Vermögensschmälerung ohne Zustimmung der Gesellschafterversammlung vornehmen.

In einer Gesellschafterversammlung im Juni 2018 wurde der Geschäftsführer der Klägerin mit den Stimmen der Mehrheitsgesellschafterin (gegen die Stimmen der Minderheitsgesellschafterin) abberufen. Die Wirksamkeit des Abberufungsbeschlusses wird sowohl vom Geschäftsführer als auch von der B-GmbH & Co. KG insbesondere wegen Einberufungsmängeln in Frage gestellt.

Zwei Tage später verkauft die Klägerin, vertreten durch den Geschäftsführer, das Grundstück für 12,2 Mio. €. Es wird eine Auflassungsvormerkung eingetragen.

Die Klägerin verlangt die Zustimmung zur Löschung der Auflassungsvormerkung.

Vorinstanzlich hatten sowohl das LG Berlin als auch das KG die Klage abgewiesen.

Entscheidung | BGH II ZR 220/22

Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Die Sache wird unter Aufhebung des Berufungsurteils an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Im Zeitpunkt der Beurkundung war der Geschäftsführer tatsächlich nicht mehr vertretungsberechtigt iSd § 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG. Seine Bestellung war auf der Gesellschafterversammlung im Juni 2018 wirksam widerrufen worden. Der BGH erkennt - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - keine Beschlussfehler, die eine Nichtigkeit zur Folge hätten. Insbesondere war die Mehrheitsgesellschafterin zur Einberufung der Versammlung befugt, da die Voraussetzungen des Selbsthilferechtes gem. § 50 Abs. 3 S. 1 Fall 1 GmbHG vorlagen. Danach kann ein Gesellschafter, der mind. 10 vom Hundert der Geschäftsanteile hält selbst die Einberufung bewirken, wenn seinem Verlangen auf Einberufung nach § 50 Abs. 1 GmbHG zuvor nicht entsprochen worden ist. Dies ist der Fall, wenn dem Verlangen nicht, nicht rechtzeitig, nicht vollständig oder nicht ordnungsgemäß nachgekommen wurde. Einem entsprechenden Verlangen der Mehrheitsgesellschafterin aus April 2018 ist der Geschäftsführer hier nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Die veranlasste Einberufung der Versammlung durch den Geschäftsführer war mangels Unterschrift formell fehlerhaft und führte zur Nichtigkeit der auf der Versammlung gefassten Beschlüsse, § 241 Nr. 1 AktG analog.

Mangels gesetzlicher Anknüpfung ist die Mehrheitsgesellschafterin auch nicht gehalten, den Geschäftsführer um Nachbesserung der Einberufung zu ersuchen, sondern kann ihr Selbsthilferecht sogleich ausüben.

Der Geschäftsführer ist daher in der von der C-GmbH einberufenen Gesellschafterversammlung wirksam abberufen worden und war zum Zeitpunkt der Beurkundung nicht mehr vertretungsbefugt.

Allerdings muss sich die Klägerin den Rechtsschein des § 15 Abs. 1 HGB entgegenhalten lassen. Im Zeitpunkt der Beurkundung war der Geschäftsführer noch als solcher im Handelsregister eingetragen. Die Berufung auf den Rechtsschein des Handelsregisters ist dem Dritten nur dann verwehrt, wenn er positive Kenntnis von der eintragungspflichtigen Tatsache hat. Auf die von der Klägerin behauptete Kenntnis der Beklagten vom Abberufungsbeschluss kommt es dabei im Ergebnis nicht an. Die eintragungspflichtige Tatsache ist nämlich nicht das Vorhandensein eines Abberufungsbeschlusses, sondern die wirksame Abberufung des Geschäftsführers. Hier konnten Zweifel an der Wirksamkeit des Abberufungsbeschlusses schon daraus resultieren, dass sich der Abberufene im relevanten Zeitpunkt gerichtlich zur Wehr setzte bzw. setzen wollte. Somit konnte keine positive Kenntnis der Beklagten festgestellt werden.

Anders als das Berufungsgericht hält der BGH jedoch einen Missbrauch der Vertretungsmacht für nicht ausgeschlossen. Der Verkauf eines wesentlichen Vermögensgegenstandes setzt schließlich einen zustimmenden Gesellschafterbeschluss voraus, § 49 Abs. 2 GmbHG. Diesen hat es nicht gegeben. Der Beklagten muss sich in solchen Fällen gerade zu aufdrängen, dass der Geschäftsführer ohne Vertretungsmacht handelt, da er einen solchen Beschluss nicht hat vorlegen können. Die Berufung auf die Auskunft des Notars, dass das Fehlen des Beschlusses unschädlich sei, konnte im Prozess bislang nicht bewiesen werden. Mit diesem Punkt hat sich das Berufungsgericht nicht genügend befasst, sodass die Sache zurückverwiesen wurde.

Praxishinweis | BGH II ZR 220/22

Für den Rechtsscheintatbestand des § 15 Abs. 1 HGB ist nur positive Kenntnis schädlich. Dabei kommt es stets auf die Kenntnis der eintragungspflichtigen Tatsache selbst, nicht aber auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines darauf hinwirkenden Beschlusses an. Allein das Bestehen zB eines Abberufungsbeschluss trifft schließlich noch keine Aussage darüber, ob die Abberufung auch wirksam ist.
Der BGH stellt zudem klar, dass die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht auch im Rahmen des § 15 Abs. 1 HGB gelten.