BFH IV R 30/19
Mitunternehmerschaft und sachliche Gewerbesteuerpflicht für eine juristische Sekunde

21.06.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
15.06.2023
IV R 30/19
BeckRS 2023, 25722

Leitsatz | BFH IV R 30/19

Eine Mitunternehmerschaft kann auch für lediglich eine juristische Sekunde bestehen. In einem derartigen Fall kann sie auch für diese juristische Sekunde sachlich gewerbesteuerpflichtig sein.

Sachverhalt | BFH IV R 30/19

Die A-AG, eine Bank, aggregierte zu Beginn des Jahres 2005 notleidende und leistungsgestörte Kredite in einem Kreditportfolio, das mittelbar veräußert werden sollte, da die in dem Portfolio enthaltenen Darlehen nicht gekündigt wurden bzw. unkündbar waren. Hierfür gründete die X-AG die X-KG. Während die X-AG die alleinige Kommanditistin war und 100 % der Geschäftsanteile hielt, fungierte als alleinige Komplementärin die X-GmbH, deren Geschäftsanteile ebenfalls zu 100% von der X-AG gehalten wurde.

Die X-AG übertrug ihr für den Verkauf bestimmtes Kreditportfolio zu Buchwerten durch Ausgliederung auf die X-KG. Zudem veräußerte die X-AG ihre Anteile an der X-KG und der X-GmbH an die Y-Ltd. und trat diese Anteile an die Z-GmbH ab, welche im Gegensatz zur X-KG und X-GmbH über eine Erlaubnis zum Betreiben von Bankgeschäften gem. § 32 KWG verfügte. Unmittelbar zuvor trat die X-GmbH aus der X-KG aus, was zur Auflösung der X-KG und zur Übertragung ihres Vermögens (des Kreditportfolios) auf die X-GmbH und schließlich auf die Z-GmbH führte. Die Wirksamkeit aller Rechtsakte trat gleichzeitig – wie im Rahmenvertrag zwischen der X-AG und der Y-Ltd. vorgesehen – am geplanten Vollzugstag mit der Eintragung der Ausgliederung des Kreditportfolios aus der X-AG in das Handelsregister im Jahre 2007 ein.

Für das Streitjahr 2007 erklärte die Z-GmbH als Rechtsnachfolgerin der X-KG den Gewerbeertrag der X-KG mit 0 €. Daraufhin führte das FA im Jahr 2011 bei der Z-GmbH – inzwischen fortgeführt von der W-GmbH – eine Betriebsprüfung durch. Dabei wurde ein bisher nicht erfasster Veräußerungsgewinn aus der Veräußerung des Kommanditanteils erfasst, der zur Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrages bei der W-GmbH und zu einer entsprechenden Änderung des Gewerbesteuermessbescheids für 2007 führte. Im Gegensatz zum FA vertrat das FG die Auffassung, dass kein Veräußerungsgewinn zu erfassen sei, da die X-KG im streitigen Jahr keine werbende Tätigkeit aufgenommen und somit keinen stehenden Gewerbebetrieb i.S.d. § 2 Abs. 1 GewStG unterhalten habe, und gab der Klage auf Aufhebung des geänderten Gewerbesteuermessbescheids statt.

Entscheidung | BFH IV R 30/19

Die Revision des Beklagten ist zulässig sowie begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben.

Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts kommt der BFH zu dem Schluss, dass die X-KG eine vermögensverwaltende und damit gewerbliche Tätigkeit aufgenommen hat. Die X-KG sei sachlich gewerbesteuerpflichtig geworden, auch wenn die Mitunternehmerschaft lediglich für eine juristische Sekunde bestand. Schuldnerin der Gewerbesteuer der X-KG sei die W-GmbH als Rechtsnachfolgerin der X-KG.

Gemäß § 2 Abs. 1 GewStG unterliege ein stehender Gewerbebetrieb der Gewerbesteuer. Dabei beginne die sachliche Gewerbesteuerpflicht erst mit der Erfüllung sämtlicher Voraussetzungen eines Gewerbebetriebs und des Ingangsetzens des Gewerbebetriebs. Maßgebend für den Beginn eines Gewerbebetriebs i.S.v. § 2 Abs. 1 GewStG sei der Beginn der werbenden Tätigkeit.

Auch die Tätigkeit einer gewerblich geprägten, vermögensverwaltenden Personengesellschaft i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG führe zu einem bestehenden Gewerbebetrieb gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 GewStG, auch wenn diese Gesellschaft keine originär gewerblichen Einkünfte erzielt (steuerliche Fiktion des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG). Da die Tätigkeit einer gewerblich geprägten, vermögensverwaltenden Personengesellschaft nicht die Ausübung einer originär gewerblichen Tätigkeit erfordere, sei der Beginn der Gewerbesteuerpflicht bei einer solchen Personengesellschaft nicht davon abhängig, ob sie die Tatbestandsmerkmale des § 15 Abs. 2 EStG erfüllt. Stattdessen richte sich der Beginn des Gewerbebetriebs allein nach dem Zeitpunkt der Aufnahme der werbenden Tätigkeit. Was als werbende Tätigkeit anzusehen ist, richte sich nach dem von der Gesellschaft verfolgten Gegenstand ihrer tatsächlich ausgeübten Tätigkeit. Das FG habe seine Entscheidung jedoch nicht auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit der X-KG gestützt, sondern sich unzutreffend an den Absichten ihrer Gesellschafter orientiert.

Nach den vorgenannten Grundsätzen habe die X-KG mit Aufnahme ihrer vermögensverwaltenden Tätigkeit auch ihre werbende Tätigkeit begonnen und sei daher – wenn auch nur für eine juristische Sekunde – als Gewerbebetrieb nach § 2 Abs. 1 GewStG tätig geworden und falle somit unter die (sachliche) Gewerbesteuerpflicht. Durch das Ausscheiden der X-GmbH, des vorletzten Gesellschafters, und das dadurch bedingte Anwachsen ihres Gesellschaftsvermögens sei die X-KG liquidationslos beendet worden. Eine Personengesellschaft – wie die X-KG – könne jedoch sowohl Mitunternehmerschaft sein als auch als gewerblich geprägte Personengesellschaft einen Gewerbebetrieb betreiben, wenn sie nur für eine juristische Sekunde Inhaberin von zu verwaltendem Vermögen geworden ist. Für die Frage, ob jemand Mitunternehmerinitiative ausüben kann bzw. Mitunternehmerrisiko trägt, sei die abstrakte strukturelle Möglichkeit ausreichend. Zudem lasse sich § 2 GewStG nicht entnehmen, dass ein Gewerbebetrieb voraussetzt, dass die gewerbliche Tätigkeit über eine bestimmte (Mindest-) Zeit ausgeübt wird.

Im Ergebnis unterliege der erzielte Gewinn aus der Veräußerung der KG-Anteile an die Z-GmbH somit der Gewerbesteuer auf der Ebene der X-KG, da durch diese am Tag der Ausgliederung und Anwachsung zumindest für eine juristische Sekunde die sachliche Gewerbesteuerpflicht begründet wurde. Bezüglich der Ermittlung der Höhe des Veräußerungsgewinns verwies der BFH jedoch an das FG zurück, da bisher keine Feststellungen zur Höhe des Veräußerungsgewinns gem. § 7 S. 2 Nr. 2 GewStG – und des sich daraus ergebenden Gewerbesteuermessbetrags – getroffen worden seien.

Praxishinweis | BFH IV R 30/19

Die vorliegende Entscheidung hat grundlegende gesellschafts- und steuerrechtliche Bedeutung für mehrstufige Gestaltungen im Zusammenhang mit der GmbH & Co. KG. Nach Ansicht des BFH kann eine Mitunternehmerschaft für lediglich eine juristische Sekunde bestehen. Folglich kann auch eine Personengesellschaft, die mit dem Ziel gegründet wurde, ein bestimmtes Wirtschaftsgut zu erwerben und dieses – in derselben juristischen Sekunde – durch die Veräußerung der Mitunternehmeranteile weiter zu übertragen, sachlich der Gewerbesteuer unterliegen.

Die (sachliche) Gewerbesteuerpflicht einer Personengesellschaft ist maßgeblich von der ausgeübten Tätigkeit abhängig – und nicht von den Absichten der Gesellschafter. Dabei ist insbesondere die Unterscheidung von Bedeutung, ob es sich um eine originär gewerblich tätige oder um eine gewerblich geprägte Personengesellschaft handelt. Die Unterscheidung kann zu erheblichen Auswirkungen auf die Beurteilung des Beginns des Gewerbebetriebes nach § 2 Abs. 1 GewStG haben und somit auf die Gewerbesteuerpflicht.