FG Münster 6 K 2489/22 E
Entgeltlicher Verzicht auf ein Nießbrauchrecht stellt keine Veräußerung im Sinne des § 23 EStG dar

03.07.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

FG Münster
12.12.2023
6 K 2489/22 E
DB 2024, 423

Leitsatz | FG Münster 6 K 2489/22 E

  1. Ein unentgeltlich eingeräumtes Nießbrauchrecht ist ein Wirtschaftsgut i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, das einlage- und entnahmefähig ist.
  2. Der entgeltliche Verzicht auf ein Nießbrauchrecht stellt keine Veräußerung, sondern einen veräußerungsähnlichen Vorgang dar.
  3. Veräußerungsähnliche Vorgänge fallen nicht unter § 23 EStG.

Sachverhalt | FG Münster 6 K 2489/22 E

Der Klägerin wurde im Jahr 2008 im Wege des Vermächtnisses ein Nießbrauchrecht an dem Grundstück Y1 von ihrem verstorbenen Ehemann unentgeltlich zugewandt. Eigentümer des Grundstücks war eine Erbengemeinschaft, bestehend aus den gemeinsamen Kindern (nachfolgend N und M) der Klägerin und des verstorbenen Ehemannes. Es wurde zunächst an fremde Dritte vermietet. Aus Vermietung und Verpachtung erzielte die Klägerin Einkünfte i.S. des § 21 EStG. Ab 2012 vermietete die Klägerin das Grundstück an die Firma A & Co. KG, deren Komplementärin sie selbst war. Das Nießbrauchrecht wurde folglich in das Sonderbetriebsvermögen der Klägerin bei der Firma A & Co. KG eingelegt. Die Mieteinnahmen stellten von 2012 bis Februar 2018 Sonderbetriebseinnahmen gemäß § 15 I Nr. 2 S. 1 2. Hs. EStG dar. Als die Klägerin als Komplementärin bei der Firma ausschied, wurde mit Beendigung der Mitunternehmerstellung das Nießbrauchrecht in ihr Privatvermögen überführt. Damit waren die nun erzielten Mieteinnahmen erneut solche i.S. des § 21 EStG.

Im Jahr 2017 veräußerte die Erbengemeinschaft das Grundstück an die V Grundstücksverwaltungs-GmbH & Co KG mit der Bestimmung, dass der Kaufpreis erst mit Erlöschen des Nießbrauchrechts fällig werden soll. Mit Vertrag vom 06.11.2019 zwischen der Klägerin und der O GmbH & Co. KG verzichtete die Klägerin auf ihr Nießbrauchrecht gegen eine Entschädigung in bestimmter Höhe. Das Finanzamt für Groß und Konzernbetriebsprüfung L (GKBP) führte für den Zeitraum 2017-2019 eine Betriebsprüfung bei der Klägerin als Vorsitzende des Verwaltungsrats der A Unternehmen durch. Die Prüfer stellten am 16.05.2022 unter anderem fest, dass die Ablösung des Nießbrauchrechts zu Einkünften i.S. von § 23 EStG zähle. Das zugunsten der Klägerin eingetragene Nießbrauchrecht stelle einen vermögenswerten Vorteil dar. Da das Wirtschaftsgut bis zum Verzicht als Einkommensquelle genutzt worden sei, habe sich die Veräußerungsfrist auf zehn Jahre verlängert. Als Anschaffungszeitpunkt gelte der Zeitpunkt der Entnahmen des Nießbrauchrechts aus dem Sonderbetriebsvermögen der Klägerin, sodass der endgültige Verzicht innerhalb der Veräußerungsfrist erfolgte. Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 25.11.1992 (X R 34/ 89) ergebe sich, dass der Verzicht auf ein Nießbrauchrecht gegen die Zahlung eines Einmalbetrages ein entgeltliches Veräußerungsgeschäft sei. Das Urteil sei entgegen der Ansicht der Klägerin auch auf diesen Fall anwendbar. Der Beklagte folgte also den Ausführungen des GKBP und erließ am 02.06.2022 einen geänderten Einkommenssteuerbescheid, in dessen Rahmen die Einkommensteuer höher festgesetzt wurde. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein und trug vor, dass weder ein Anschaffungsvorgang noch ein Veräußerungsvorgang i.S. des § 23 EStG vorliege. Mit Einspruchsentscheidung vom 12.10.2022 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und führte dazu aus, dass auch die Überführung eines Wirtschaftsguts in das Privatvermögen durch Entnahme als Anschaffung gelte. Eine Veräußerung bestünde ebenfalls, da ein Rechtsträgerwechsel stattgefunden habe, zumindest in der Form des Rechts auf Fruchtziehung.

Daraufhin wurde am 20.10.2022 Klage erhoben. Zur Begründung gibt sie unter anderem an, die Entnahme aus dem Betriebsvermögen im Jahr 2018 stelle keine Anschaffung aufgrund des § 52 Abs. 31 EStG dar. Es sei auf die Annahme des Vermächtnis 2008 abzustellen, sodass der zeitliche Anwendungsbereich des § 23 I 1 Nr. 2 S. 4 EStG nicht eröffnet sei und die Spekulationsfrist deshalb nach alter Rechtslage lediglich fünf Jahre betragen habe. Im Streitfall habe Sie auch zu keiner Zeit das Nießbrauchrechts als Einkunftsquelle genutzt, sodass eine zehnjährige Spekulationsfrist auch bei neuer Gesetzeslage nicht zur Anwendung käme. Sie geht außerdem davon aus, das Nießbrauchrecht stelle kein Wirtschaftsgut dar und es sei weder angeschafft noch veräußert worden. Ein nicht übertragbares Recht, wie das Nießbrauchrecht, könne nicht Gegenstand eines Veräußerungsvorganges sein und veräußerungsähnliche Vorgänge fielen nicht unter § 23 EStG. Sie beantragt, den Einkommensteuerbescheid 2019 zu ändern und auf den ersten Stand rückgängig zu machen.  

Entscheidung | FG Münster 6 K 2489/22 E

Die Klage ist zulässig und begründet. Es wurde festgestellt, der Einkommensteuerbescheid 2019 vom Juni 2021 und die Einspruchsentscheidung vom Oktober 2022 sind rechtswidrig und verletzen die Rechte der Klägerin, soweit der Beklagte Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften im Zusammenhang mit der Ablösung des Nießbrauchrechts angenommen hat.

Private Veräußerungsgeschäfte sind gem. § 23 I Nr. 2 EStG Veräußerungsgeschäfte bei anderen Wirtschaftsgütern, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt. Bei Wirtschaftsgütern im Sinne von Satz 1, aus deren Nutzung Einkünfte als Einkunftsquelle zumindest in einem Kalenderjahr erzielt werden, erhöht sich der Zeitraum gemäß § 23 I Nr. 2 S. 2 auf zehn Jahre. Als Anschaffung gilt auch die Überführung eines Wirtschaftsguts in das Privateigentum des Steuerpflichtigen durch Entnahme oder Betriebsaufgabe.

Das streitgegenständliche Nießbrauchrecht stellt entgegen der Auffassung der Klägerin ein Wirtschaftsgut i.S. des § 23 I 1 Nr. 2 EStG dar. Dieser Begriff ist nach Rechtsprechung des BFH weit zu fassen und auf Grundlage einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise auszulegen. Wirtschaftsgüter sind mithin nicht nur Sachen und Rechte im zivilrechtlichen Sinne, sondern vielmehr auch Zustände und konkrete Möglichkeiten und damit sämtliche Vorteile für einen Betrieb, für deren Erlangung man bezahlen muss, die in der Regel einen wirtschaftlichen Nutzen erbringen und jedenfalls mit einem Betrieb übergehen können. Darunter fallen also auch immaterielle Wirtschaftsgüter. Entsprechend sind auch Nießbrauchrechte an Grundstücken Wirtschaftsgüter.

Das Nießbrauchrecht wurde von der Klägerin im Jahr 2018 gem. § 23 I 2 EStG durch Entnahme ins Privatvermögen übernommen, denn es ist einlagefähig und damit auch entnahmefähig. Unentgeltlich eingeräumte Nutzungsrechte werden nach wiederholter Rechtsprechung des BFH als einlagefähig angesehen, wenn der Inhaber eine rechtlich gesicherte Position erlangt hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann. Dies trifft auf die dinglich gesicherte Rechtsposition des Nießbrauchers zu. Allerdings bedeutet dies nicht, dass es auch bewertungsfähig ist, sodass es nicht mit dem Nutzungswert in das Betriebsvermögen eingelegt werden kann, weil hierdurch der auf Nutzung beruhende und im Betrieb erwirtschaftete Gewinn der Besteuerung entzogen würde, obwohl im Privatvermögen selbst gezogene Nutzungen regelmäßig zu Einkünften aus Kapitalvermögen oder aus Vermietung und Verpachtung führen und der Besteuerung unterliegen.

Das Nießbrauchrecht wurde durch den entgeltlichen Verzicht im Jahr 2019 entgegen der Auffassung des Beklagten allerdings nicht i.S. des § 23 I 1 Nr. 2 EStG veräußert. Die Bestimmungen des § 23 I 1 Nr. 2 EStG erfassen realisierte Wertänderungen von beweglichen Wirtschaftsgütern jedweder Art im Privatvermögen innerhalb der Veräußerungsfrist von einem Jahr. Unter der Bedingung der Nutzung des Wirtschaftsgutes als Einkunftsquelle wird die Frist auf zehn Jahre erweitert. Eine Veräußerung in dem Sinne ist danach der entgeltliche Erwerb und die entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts auf einen Dritten zu verstehen. Dies setzt somit nicht nur die Entgeltlichkeit des Übertragungsvorgangs, sondern auch eine zugrundeliegende schuldrechtliche Vereinbarung über ein Rechtsträgerwechsel voraus. Dies ist abzugrenzen von einem veräußerungsähnlichen Vorgang, bei dem ein Entgelt dafür erbracht wird, dass ein Vermögenswert in seiner Substanz endgültig aufgegeben wird. Demzufolge handelt es sich bei dem Verzicht auf das Wirtschaftsgut „Nießbrauchrecht“ um einen veräußerungsähnlichen Vorgang, da hier der erforderliche Rechtsträgerwechsel fehlt. Dieses Wirtschaftsgut ist aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nicht übertragbar. Wird, wie hier, auf den Nießbrauch verzichtet, wird es nicht auf den Eigentümer des Grundstücks übertragen, sondern es erlischt vielmehr, sodass die Nutzungs- und Fruchtziehungsrechte wieder auf den Eigentümer übergehen. Solche veräußerungsähnlichen Vorgänge werden von § 23 EStG nicht erfasst. Dafür spricht zum einen der eindeutige Wortlaut der Norm, der nur von Veräußerungsgeschäften spricht, und zum anderen die Rechtsprechung des BFH.

Ein vom Nießbrauch losgelöstes Teilrecht der „Fruchtziehung“ – ungeachtet der Frage einer zivilrechtlichen Möglichkeit und steuerrechtlichen Anerkennung – war schon gar nicht Gegenstand der Vereinbarung und wurde von der Klägerin auch nicht auf den Eigentümer übertragen. Die Klägerin hat ausweislich des Vertrags vom 06.11.2019 die Aufhebung des Nießbrauchs erklärt und auf den Nießbrauch verzichtet. Das Nutzungsrecht wechselt nicht den Rechtsträger, es wird erloschen und befindet sich wieder beim Eigentümer.

Praxishinweis | FG Münster 6 K 2489/22 E

Ob ein entgeltlicher Verzicht auf ein Nießbrauchrecht, auch nach Einführung der Abgeltungsteuer, ein Veräußerungsvorgang oder lediglich ein veräußerungsähnlicher Vorgang ist, wurde in der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Rahmen des § 23 EStG bisher noch nicht entschieden. Das Finanzgericht Münster weist letztlich daraufhin, dass der Verzicht auf ein testamentarisch vermachtes obligatorisches Wohnrecht ein veräußerungsähnlicher Vorgang sei. Die gleichen Rechtsgrundsätze würden ebenso für den entgeltlichen Verzicht auf einen dinglichen Vorbehaltsnießbrauch gelten.