BFH I R 7/20
Heilung eines „fehlerhaften“ Gewinnabführungsvertrags

27.05.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
03.05.2023
I R 7/20
NZG 2023, 1434

Leitsatz | BFH I R 7/20

Der Eintritt der Heilungswirkung nach den Übergangsregelungen in § 17 Abs. 2 i.V.m. § 34 Abs. 10 b S. 2 und 3 KStG nF zum gesetzlichen Erfordernis des dynamischen Verweises auf § 302 AktG (§ 17 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 KStG n.F.) hängt vom Verhalten des Steuerpflichtigen ab. Deshalb tritt bei Beendigung der steuerlichen Organschaft vor dem 01.01.2015 die Heilungswirkung gem. § 34 Abs. 10 b S. 3 KStG n.F. nicht ein, wenn der Steuerpflichtige durch eine nach außen erkennbare Handlung den Willen äußert, eine Heilung des „fehlerhaften“ Gewinnabführungsvertrags nicht herbeiführen, sondern die Rechtsfolgen des „fehlerhaften“ Gewinnabführungsvertrags tragen zu wollen.

Sachverhalt | BFH I R 7/20

Die (Revisions-)Klägerin ist eine Kommanditgesellschaft und hielt im streitrelevanten Zeitraum von 2007-2011 (Streitjahre) sämtliche Anteile an der A-GmbH (im Folgenden: GmbH). Die GmbH wiederum hielt Beteiligungen an den inländischen Personengesellschaften der B GmbH & Co. KG und der C GmbH & Co. KG (Enkelgesellschaften).

Die GmbH, die als Organgesellschaft fungierte, schloss im März 2004 mit der Klägerin als Organträgerin einen Ergebnisabführungsvertrag (EAV, häufig auch GAV) für eine feste Laufzeit von fünf Jahren. Dieser Vertrag konnte erstmals zum 31.05.2008 gekündigt werden. Der EAV regelte die Gewinnabführung der GmbH an die Klägerin und enthielt einen Verweis auf die im März 2004 gültige aktienrechtliche Vorschrift zur Verlustübernahme.

Durch das Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 09.12.2004 ergänzte der Gesetzgeber § 302 AktG um einen neuen Absatz 4, der eine Verjährungsregelung enthält. Eine Anpassung des EAV durch die Parteien unterblieb.

In den Steuererklärungen der Streitjahre erfasste die Klägerin jeweils die Gewinnabführungen der GmbH. Die GmbH erklärte entsprechend ein Einkommen von 0 €. Die Klägerin kündigte den EAV zum 31.05.2012 schriftlich und die Aufhebung des EAV wurde im Handelsregister eingetragen.

Das Finanzamt ging bei der Festsetzung der Besteuerungsgrundlagen der KG und der GmbH von einer bestehenden Organschaft aus. Die Klägerin war hingegen der Auffassung, dass die Organschaft zwischen ihr und der GmbH nicht anzuerkennen sei, da der EAV keinen Verweis auf den neu eingeführten § 302 Abs. 4 AktG enthalte. Demnach seien ihr Einkommen und Gewerbeertrag der GmbH nicht zuzurechnen.

Streitgegenstand der (Revisions-)Klage ist somit die Wirksamkeit des EAV. Das FG Münster entschied, dass aufgrund der rückwirkend anwendbaren Vorschrift in § 34 Abs. 10b S. 2 und 3 KStG (i.d.F. des Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.02.2013) der unzureichende Verweis des EAV auf § 302 AktG geheilt worden sei, und wies die Klage ab.

Entscheidung | BFH I R 7/20

Nach Auffassung des BFH ist die Revision begründet und die Entscheidung der Vorinstanz aufzuheben.

Das FG sei zunächst rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, die Voraussetzungen für eine steuerrechtliche Anerkennung der Organschaft in den Streitjahren nicht erfüllt waren, weil im EAV keine Verlustübernahme entsprechend den Vorschriften des § 302 AktG vereinbart worden war. Der EAV habe keine Verjährungsregelung enthalten, die der im Dezember 2004 eingeführten Verjährungsvorschrift des § 302 Abs. 4 AktG entsprochen habe, und sei demnach fehlerhaft gewesen.

Entgegen der Ansicht des FG sei der fehlerhafte EAV jedoch nicht durch die gesetzlichen Übergangsvorschriften rückwirkend geheilt worden. Demnach habe in den Streitjahren keine steuerrechtlich anzuerkennende Organschaft zwischen der Klägerin und der GmbH bestanden.

Mit dem o.g. Gesetz vom 20.02.2013 habe der Gesetzgeber in § 17 S. 2 Nr. 2 KStG die zwingende Voraussetzung („weitere Voraussetzung ist ...“) eines „dynamischen“ Verweises auf § 302 AktG verankert. Zugleich habe er in § 34 Abs. 10b idF dieses Gesetzes Übergangsregelungen eingeführt. Danach stünde es der Anwendung der §§ 14-16 KStG für Veranlagungszeiträume, die vor dem 01.01.2015 enden, nicht entgegen, wenn der GAV, der vor dem 21.02.2013 abgeschlossen wurde, keinen den Anforderungen des § 17 S. 2 Nr. 2 KStG i.d.F. der Bekanntmachung der Neufassung vom 15.10.2002 entsprechenden Verweis auf § 302 AktG enthält, wenn eine Verlustübernahme entsprechend § 302 AktG tatsächlich erfolgt ist und eine Verlustübernahme entsprechend § 17 S. 2 Nr. 2 KStG i.d.F. des Gesetzes vom 20.2.2013 (als „dynamischer“ Verweis auf § 302 AktG) bis zum Ablauf des 31.12.2014 wirksam vereinbart wird (§ 34 Abs. 10 b S. 2 KStG nF). Gemäß S. 3 des § 34 X b KStG n.F. sei für die Anwendung des S. 2 die Vereinbarung einer Verlustübernahme entsprechend § 17 S. 2 Nr. 2 KStG idF des Gesetzes vom 20.2.2013 nicht erforderlich, wenn die steuerrechtliche Organschaft vor dem 01.01.2015 beendet wurde.

Mit § 34 Abs. 10 b S. 2 KStG n.F. habe der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, die es ermöglicht, einen GAV, der bisher keine ausreichende Vereinbarung gemäß § 302 AktG enthielt und daher für die Frage der steuerlichen Anerkennung fehlerhaft gewesen wär, durch die Aufnahme eines „dynamischen“ Verweises rückwirkend zu korrigieren. Eine solche Vertragsänderung sei jedoch gemäß § 34 Abs. 10 b S. 3 KStG nF nicht erforderlich, wenn die Organschaft vor dem 01.01.2015 beendet wird.

Nach Auffassung des BFH ist das FG unter Verweis auf S. 3 des § 34 X b KStG n.F. – zu Unrecht – von einer rückwirkenden Heilung des fehlerhaften EAV ausgegangen. Denn S. 3 sei lediglich eine Ergänzung des S. 2 („Für die Anwendung des S. 2 ...“), welcher den Grundtatbestand der Heilung beinhalte und dabei den Eintritt der Heilungswirkung vom Verhalten des Steuerpflichtigen abhängig mache. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen müsse für den Fall, dass ein Steuerpflichtiger, der die Organschaft bereits vor der gesetzlichen Neuregelung beendet hatte, ausdrücklich dem möglichen Eintritt einer Heilungswirkung widerspricht, dies ebenfalls berücksichtigt werden. In einem solchen Fall erfolge also keine nachträgliche Anerkennung der Organschaft mangels Heilung des EAV. Eine solche der Heilung widersprechende Handlung sei spätestens in der Einlegung von Rechtsbehelfen gegen die vom FA vollzogene Organschaftsbesteuerung zu sehen.

Praxishinweis | BFH I R 7/20

Bei Beendigung der steuerlichen Organschaft vor dem 01.01.2015 tritt die Heilungswirkung gem. § 34 Abs. 10 b S. 3 KStG in der am 20.02.2013 geltenden Fassung nicht ein, wenn der Steuerpflichtige durch eine nach außen erkennbare Handlung den Willen äußert, eine Heilung des „fehlerhaften“ Gewinnabführungsvertrags nicht herbeiführen, sondern die Rechtsfolgen des „fehlerhaften“ Vertrags tragen zu wollen. In diesem Fall haben der Organträger und die Organgesellschaft jeweils ihr eigenes Einkommen zu versteuern.

Der BFH gelangt mittels grammatikalischer, teleologischer, systematischer sowie gesetzeshistorischer Auslegung zu dem Ergebnis, dass eine gesetzliche Heilungsmöglichkeit keine Heilungspflicht oder gar einen Heilungsautomatismus begründe. Insbesondere hinsichtlich steuerrechtlicher Heilungsmöglichkeiten in Übergangsvorschriften erscheint die Argumentation des BFH auf weitere (zukünftige) Vorschriften übertragbar zu sein, sofern die Heilung vom Verhalten des Steuerpflichtigen abhängig gemacht wird.