KG (4) 161 Ss 104/22 (115/22)
Insolvenzantragspflicht bei Führungslosigkeit einer englischen Limited

06.02.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

KG
10.08.2022
(4) 161 Ss 104/22 (115/22)
ZIP 2022, 1766

Leitsatz | KG (4) 161 Ss 104/22 (115/22)

§ 15a Abs. 3 InsO ist auf eine englische Limited nicht anwendbar.

Sachverhalt | KG (4) 161 Ss 104/22 (115/22)

Das AG Berlin-Tiergarten hat den Angeklagten mit Strafbefehl 2019 wegen Insolvenzverschleppung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50 EUR verurteilt. Zugrunde lag folgender Sachverhalt:

Der Angeklagte war seit der Gründung bis zur Abberufung 2015 Director der V Ltd. Nach seiner Abberufung als Director war die Gesellschaft führungslos. Er blieb aber Geschäftsführer der F-UG, der einzigen Gesellschafterin der V Ltd. Der Angeklagte wusste, dass die V Ltd. spätestens seit Mai 2016 zahlungsunfähig war, da die Gesellschaft ab diesem Zeitpunkt nicht mehr die Sozialversicherungsbeiträge der bei der Gesellschaft Beschäftigten abführen konnte. Als gesetzlicher Vertreter der Gesellschafterin der V Ltd. war der Angeklagte gem. § 15a Abs. 1 InsO verpflichtet, bei deren Zahlungsunfähigkeit ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH zu beantragen. Entgegen dieser Pflicht beantragte der Angeklagte zu keiner Zeit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Gegen den Strafbefehl hat der Angeklagte Einspruch eingelegt, den er in der Hauptverhandlung auf die Tagessatzhöhe beschränkt hat. Das AG hat daraufhin mit Urteil vom 21.08.2019 die Höhe des einzelnen Tagessatzes auf 20 EUR herabgesetzt und dem Angeklagten Ratenzahlung bewilligt.

Auf die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten hin hat das LG Berlin die Beschränkung des Einspruchs für unwirksam erachtet, das angefochtene Urteil aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen.

Die Staatsanwaltschaft ging in Revision.

Entscheidung | KG (4) 161 Ss 104/22 (115/22)

Das KG bestätigte den Freispruch. Das LG sei zutreffend davon ausgegangen, dass die Beschränkung eines Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch oder Teile des Rechtsfolgenausspruchs unwirksam sei, wenn der zugrundeliegende Schuldspruch auf einem nach den Feststellungen tatsächlich nicht strafbaren Verhalten beruhe. Im Streitfall sei das dem Angeklagten zur Last gelegte Verhalten tatsächlich nicht strafbar.

§ 15a Abs. 3 InsO – und damit auch die Strafnorm des § 15a Abs. 4 bis Abs. 5 InsO – sei auf eine Limited nach englischem Recht nicht anwendbar.

Das KG folge damit der herrschenden Auffassung im Schrifttum. Zwar spreche für die Gegenansicht, dass der Gesetzgeber mit (zumindest) § 15a Abs. 1 InsO auch Auslandsgesellschaften mit Verwaltungssitz und Betrieb im Inland erfassen habe umfassen wollen. Diese Ausweitung könne aber nicht auf § 15a Abs. 3 InsO übertragen werden. Dem stehe der eindeutige, von Abs. 1 („juristische Person“) abweichende und auf GmbH, AG und Genossenschaften beschränkte Wortlaut der Norm entgegen.

Wolle man § 15a Abs. 3 InsO dahingehen auslegen, dass – wie die Revisionsführerin meint – der Begriff der GmbH auch Auslandsgesellschaften vergleichbarer Rechtsstruktur wie die englische Ltd. erfasse, überschreite dies die Wortlautgrenze. Durch das MoMiG vom 23.10.2008 sei sowohl die Regelung der Insolvenzantragspflicht in § 15a InsO als auch die Regelung des Insolvenzantragsrechts bei Führungslosigkeit in § 15a Abs. 1 S. 2 InsO in die Insolvenzordnung eingefügt worden. Spreche der Gesetzgeber bei einer solchen einheitlichen Regelung sowohl in § 15a Abs. 1 S. 2 InsO als auch in § 15a Abs. 1 InsO jeweils von juristischen Personen, in § 15a Abs. 3 InsO hingegen enumerativ nur von der GmbH, AG und Genossenschaft, sei – auch wenn die Gesetzesmaterialien zu den Gründen der Differenzierung schweigen – auszuschließen, dass in § 15a Abs. 3 InsO andere als die dort mit ihren jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Bezeichnungen ausdrücklich angeführten juristischen Personen gemeint sein könnten. Der Begriff der GmbH sei nicht als Gattungsbegriff verwandt worden.

Hierfür spreche auch der ursprüngliche Gesetzesentwurf des MoMiG. Denn idF des Entwurfs der Bundesregierung waren den einzelnen Bezeichnungen noch jeweils Verweise auf die Definitionen der Führungslosigkeit in § 35 GmbHG, § 78 AktG und § 24 GenG beigefügt. Das Entfallen dieser Verweise im weiteren Gesetzgebungsverfahren habe keine inhaltlichen, sondern lediglich redaktionelle Gründe. Ausweislich der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages zum MoMiG-Entwurf sei die Streichung nur deshalb erfolgt, weil in § 10 Abs. 2 InsO eine Definition der Führungslosigkeit enthalten sei, so dass es der Verweise nicht bedurfte. Es sei keine inhaltliche Änderung, oder Ausdehnung der Wortlautbedeutung auf andere Rechtsformen beabsichtigt gewesen.

Das KG stellt heraus, dass es auf eine analoge Anwendung von § 15a Abs. 3 InsO nicht eingehen müsse. Dem stehe das Analogieverbot im Strafrecht (§ 1 StGB) entgegen.

Praxishinweis | KG (4) 161 Ss 104/22 (115/22)

Die Bedeutung der Limited ist in der Praxis auf dem Rückzug. Schon die Einführung der UG (haftungsbeschränkt) vor allem aber natürlich der BREXIT hat diese Rechtsform unattraktiv gemacht. Mit dem Streitfall ist sie nun zurück auf der – wirtschaftsstrafrechtlichen - Agenda.

Setzt sich der Standpunkt des KG, der die h.M. in der Literatur widerspiegelt, durch, sollte dem mit rechtspolitischen Konsequenzen begegnet werden. Ansonsten wäre der Kampf gegen das immer noch grassierende Firmenbestattungsunwesen geschwächt. Teilweise sind solche Stimmen im Schrifttum schon zu finden. Es wird vorgeschlagen, den § 15a Abs. 3 InsO rechtsformneutral zu formulieren. Hierauf ist der Gesetzgeber trotz einiger Veränderungen an § 15a InsO – noch – nicht eingegangen. Dies könnte sich durch das Urteil des KG und möglicher weiterer Folgen daraus ggf. ändern. (KG, Urt. v. 10.08.2022 – (4) 161 Ss 104/22 (115/22), GmbHR 2022, 1136, 1139 m. Anm. Brand).