OLG Saarbrücken 1 U 91/22
Kein Anspruch des GmbH-Fremdgeschäftsführers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen Mitgeschäftsführer auf Unterlassung der Geschäftsführung

24.05.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Saarbrücken
14.06.2023
1 U 91/22
GmbHR 2023, 301 = NZG 2023, 1649

Leitsatz | OLG Saarbrücken 1 U 91/22

  1. Der von einem Fremdgeschäftsführer einer GmbH in eigenem Namen eingereichte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen seinen Mitgeschäftsführer ist mangels Prozessführungsbefugnis unzulässig, soweit der Antrag allein auf die Sicherung etwaiger materieller Ansprüche und Rechte der GmbH abzielt, denn die Befugnis zur zwangsweisen Sicherung von solchen Ansprüchen und Rechten, die nur im Verhältnis zwischen der Gesellschaft und dem in Anspruch genommenen Mitgeschäftsführer bestehen können, steht einem reinen Fremdgeschäftsführer nicht zu.
  2. Eine Prozessführungsbefugnis lässt sich in einem solchen Fall insbesondere weder aus den Grundsätzen der „actio pro socio“ noch aus den Grundsätzen der „actio pro societate“ herleiten, da dem schon jeweils entgegensteht, dass die als Klagepartei auftretende Person nicht unmittelbarer Gesellschafter der betroffenen Gesellschaft ist.
  3. Der Fremdgeschäftsführer einer GmbH hat aus seiner Organstellung keinen (eigenen) individualrechtlich begründeten Unterlassungsanspruch gegen seinen Mitgeschäftsführer, aufgrund dessen er inter partes verlangen könnte, dass die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis des anderen vorläufig einzuschränken ist. Ein Rückgriff auf § 115 I HGB analog scheidet insoweit aus.

Sachverhalt | OLG Saarbrücken 1 U 91/22

Die Parteien sind jeweils einzelvertretungsberechtigte und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreite Geschäftsführer der M GmbH und im Handelsregister eingetragen. Die M GmbH ist ihrerseits im Handelsregister des AG Saarbrücken eingetragen und auf den Erwerb, die Entwicklung, die Vermietung und Verpachtung von Grundbesitz entweder durch die Gesellschaft selbst oder durch Beteiligung an anderen Gesellschaften gerichtet. Ihre alleinige Gesellschafterin ist die M Objekt GmbH & Co. KG (im Folgendem M1 GmbH & Co. KG). Zugleich ist sie die alleinige Kommanditistin einer Reihe von Objektkommanditgesellschaften und deren alleinige Komplementärin wiederum die M GmbH ist. Alleinige Komplementärin der M1 GmbH & Co. KG ist die M2 GmbH und ihre Kommanditistin ist die niederländische FM1 Invest Germany B.V. (im Folgendem FM 1 B.V.). Diese wiederum ist Kommanditistin für viele weitere Objektkommanditgesellschaften. Als einzelvertretungsberechtigter der M1 GmbH & Co. KG ist der Verfügungskläger (VK) eingetragen. Er und die Gesellschaft Investment Management Ltd. (im Folgendem: M3 Ltd.) mit Sitz in Tel Aviv besitzen Gesellschaftsanteile an der FM1 B.V. und teilen sich das Stimmrecht. Geschäftsführung der FM1 B.V. übernimmt die niederländische Krijnburg B.V. (im Folgendem FM2 B.V.). Im Jahr 2014 gründeten der VK und die M3 Ltd. ein Joint Venture, die sogenannte FM1 Gruppe, wobei M3 Ltd. die Aufgabe übernahm, Finanzierungsmittel zu beschaffen und zu verwalten und der VK die Aufgabe hatte, die operativen Tagesgeschäfte der operativen Gesellschaften der FM1 Gruppe, sowie der M GmbH zu führen. Hinzu kommt der Verfügungsbeklagte (VB) der im Jahr 2015 zum weiteren Geschäftsführer der M GmbH berufen wurde.

Ab Anfang des Jahres 2021 entstanden zunehmend Streitigkeiten zwischen dem Verfügungskläger (VK) und der M3 Ltd., die schließlich dazu führten, dass der Verfügungsbeklagte (VB) zum weiteren Geschäftsführer der M2 GmbH bestimmt und die Einzelvertretungsberechtigung aufgehoben wurde. Darüber hinaus wurde dem VB Einzelvertretungsberechtigung hinsichtlich der M1 GmbH und Co. KG erteilt. Am 5. Oktober 2021 beschloss nun die Gesellschafterversammlung der M GmbH durch den VB, als Vertreter der M1 GmbH & Co. KG, die Einzelvertretungsberechtigung der beiden Geschäftsführer aufzuheben. Am 24./26. Dezember 2021 bestätigten die Gesellschafterversammlung der M2 GmbH, vertreten durch FM2 B.V. und die Gesellschafterversammlung der M GmbH, vertreten durch den VB, jeweils den Beschluss vom Oktober und erteilten dem VB Einzelvertretungsberechtigung für die M2 GmbH.

Gegen diese Beschlüsse ging der VK im Wege einer Nichtigkeits- und Anfechtungsklage gerichtlich vor. Diese Verfahren des LG Saarbrückens sind beide noch in erster Instant anhängig. Allerdings erreichte der VK, dass Zwischenverfügungen erlassen und die Eintragungsverfahren zu den von VB verfolgten Änderungen ausgesetzt werden. Auf Antrag des VK wurde am 21.02.2022 eine einstweilige Verfügung erlassen, die VB untersagt, Geschäfte für die M GmbH und die M2 GmbH zu führen; zugleich wurde der VK zur alleinigen Geschäftsführung dieser beiden Gesellschaften ermächtigt. Nach Widerspruch durch den VB wurde dieser Beschluss wieder aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Darauf folgte eine eingelegte Berufung, die vom VK jedoch wieder zurückgenommen wurde.

Anschließend folgte ein Antrag der M GmbH, vertreten durch den VB, sowie von 13 Kommanditgesellschaften, vertreten durch die M GmbH und diese wiederum durch den VB, auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegenüber dem VK, der ihm untersagte, ohne zustimmenden Gesellschafterbeschluss Zahlungen zu leisten. Die hiergegen eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen.

Am 30.03.2022 hat das Bezirksgericht auf Antrag des VK in einem Eilverfahren entschieden, dass die Gesellschafterbeschlüsse der M GmbH und M2 GmbH von Oktober und Dezember 2021 rückgängig zu machen seien, ein unabhängiger Dritter als Geschäftsführer der M2 GmbH eingesetzt werden solle und Gesamtvertretung für die Geschäftsführung zu beschließen seien. Nach Berufung durch die M3 Ltd. und Anschlussberufung durch den VK, wurde Herr SW zum weiteren Geschäftsführer bestellt und Gesamtvertretung beschlossen. Allerdings hat er das Amt zwischenzeitlich niedergelegt, u.a. weil seine Vergütung nicht gezahlt wurde.

Nachfolgend überwies der VB im Zeitraum zwischen Mai und Juni vom Konto der M1M GmbH & Co KG an die M3 Ltd. Beträge in Höhe von einmal 70.000 € und zweimal 50.000 €. Dagegen erhob der VK Widerspruch und forderte VB zur Rückzahlung auf. Im Juni überwies VB erneut zweimal 50.000€ an die israelische Anlegergesellschaft vom Konto der M1W GmbH & Co KG. Dagegen erhob der VK erneut Widerspruch mit der Begründung einer Rangrücktrittserklärung der israelischen Gesellschaft im Jahr 2018. Den Aufforderungen des VK, zur Begleichung von Verbindlichkeiten der M1W GmbH & Co. KG, kam der VB nicht (jedenfalls nicht vollumfänglich) nach. Stattdessen überwies er im Juli 2022 34.000€ an eine weitere israelische Gesellschaft von dem Konto der M1W GmbH & Co. KG.

Schließlich beantragte der VK erneut den Erlass einer einstweiligen Verfügung, der mit Urteil vom Landgericht am 090.8.2022 teilweise stattgegeben wurde. Darin wird dem VB untersagt, ohne Zustimmung des VK, Zahlungen der M GmbH oder der Kommanditgesellschaften, die die M GmbH als Komplementärin vertritt, vorzunehmen. Andernfalls drohe dem VB ein Ordnungsgeld i.H.v. 250.000€ oder Ordnungshaft i.H.v. bis zu sechs Jahren. Etwaige Gegenanträge des VB wurden als unzulässig zurückgewiesen.

Nun verfolgt der VB mit der Berufung seinen Antrag auf vollständige Zurückweisung des vorhergehenden Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung weiter.

Entscheidung | OLG Saarbrücken 1 U 91/22

Der Antrag auf vollständige Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hatte mit der Berufung des Verfügungsbeklagten Erfolg. Das angefochtene Urteil des LG ist dahingehend zu ändern, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung insgesamt zurückgewiesen wird. Gegenstand des Berufungsverfahrens war dabei nur, ob das Landgericht den Hilfsantrag (zu 4) zu Recht teilweise stattgegeben, indem es dem VB im Ausspruch zeitlich unbefristet ordnungsgeldbewehrt untersagt hat, ohne Zustimmung des VK Zahlungen der M GmbH oder der Objekt-Kommanditgesellschaft, die die M GmbH als Komplementärin vertritt, vorzunehmen.

Das LG stellte den Antrag des VK auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet fest. Der VB rügt erfolgreich, dass der Antrag des VK nicht zulässig ist, da dem VK in seiner Position als reinem Fremdgeschäftsführer und allenfalls mittelbarem Gesellschafter der M GmbH die Befugnis zur zwangsweisen Sicherung von materiellen Ansprüchen nicht zu steht, d.h. er ist insoweit nicht prozessführungsbefugt.

Ein Kläger ist prozessführungsbefugt, wenn er berechtigt ist, über das behauptete Recht einen Prozess als Partei im eigenen Namen zu führen. In der Regel ist dies der Inhaber des Rechts. Wer ein Recht einklagt, das nicht ihm selbst zusteht (Prozessstandschaft), muss seine Befugnis zur Führung des Prozesses dartun und beweisen. In der Regel, wenn der Inhaber des materiellen Rechts den Prozess als Partei führt, fallen Aktivlegitimation und Prozessführungsbefugnis in einer Person zusammen, fallen sie dagegen auseinander, dann ist die Prozessführungsbefugnis nur unter den Voraussetzungen einer gesetzlichen oder gewillkürten Prozessstand zu bejahen.

Die Entscheidung des LG, dass eine Prozessführungsbefugnis bestünde, wird vom OLG nicht unterstützt. Es wird klargestellt, dass einem mittelbaren Gesellschafter wie dem VK im Regelfall nicht die Befugnis zusteht, im eigenen Namen einstweiligen Rechtsschutz zur Sicherung fremder materieller Rechte zu beantragen. Aus sämtlichen Stimmen der Literatur und zahlreichen obergerichtlichen Entscheidungen geht hervor, dass einem Gesellschafter einer GmbH nur im Einzelfall und aufgrund besonderer Umstände die Befugnis zustehen kann, als Verfügungskläger im eigenen Namen beim Streit über die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis gegen den abzuberufenden Geschäftsführer eine einstweilige Verfügung nach §§ 935, 940 ZPO zur Sicherung der Ansprüche und des Vermögens der Gesellschaft zu erwirken. Ansonsten ist die Führung eines solchen einstweiligen Verfügungsverfahrens grundsätzlich Sache der Gesellschaft und nicht der Gesellschafter und schon gar nicht diejenige eines reinen Fremdgeschäftsführers.

Weder die „actio pro socio“, bei der ein Gesellschafter im eigenen Namen gegen einen Mitgesellschafter auf Leistung an die Gesellschaft klagt, noch die „actio pro societate“, bei der ein Dritter in Anspruch genommen werden soll, können auf den VK angewendet werden, da er kein unmittelbarer Gesellschafter der M GmbH ist. Eine „actio pro procurator“, die dem Fremdgeschäftsführer eine eigene Klagebefugnis zur Wahrung der Gesellschaftsinteressen verleihen würde, existiert nicht und ergibt sich auch nicht aus Treu und Glauben.

Die Argumentation des VK, dass ihm aufgrund der komplexen und atypischen Gesellschaftsstruktur eine Rechtsschutzlücke drohe, wird zurückgewiesen. Er habe sich freiwillig in diese Struktur begeben und könne daher nicht nachträglich die Prozessführungsbefugnis beanspruchen. Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht im Lichte eines Justizgewähranspruchs sei keine abweichende Entscheidung geboten. Er gewährt zwar Zugang zu den Gerichten und eine umfassende Prüfung des Streitgegenstands, jedoch keine prozessuale oder materielle Rechte, die über die geltende Rechtsordnung hinausgehen. Daher besteht keine Möglichkeit für Popularklagen, bei denen jemand eigenmächtig zum Sachwalter fremder Angelegenheiten wird. Der VK vertritt außerdem die Ansicht, dass ihm als Fremdgeschäftsführer der M GmbH aufgrund eines Widerspruchsrechts nach § 115 I HGB analog ein Unterlassungsanspruch gegen den VB als Mitgeschäftsführer der m GmbH zusteht. Ob dieses Individualrecht tatsächlich besteht und daraus ein Verfügungsanspruch abgeleitet werden kann, ist allerdings erst eine Frage der Begründetheit.

Soweit der Verfügungsantrag nach Maßgabe der genannten Kriterien zulässig ist, ist er mangels glaubhaft gemachten Verfügungsanspruch unbegründet. Der VK hat keine individualrechtlich begründeten Unterlassungsanspruch gegen den VB, aufgrund dessen er inter partes verlangen könnte, dass die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis des VB vorläufig einzuschränken ist. Er behauptet jedoch, dass ihm als Geschäftsführer der M GmbH ein Kooperationsanspruch, ein Informationsrecht und ein Widerspruchsrecht nach § 115 I HGB analog zustehen. Daher leitet er seine Aktivlegitimation aus seinem erklärten Widerspruch gegen Auslandszahlungen der von der M GmbH vertretenen Kommanditgesellschaften; er habe als berechtigter widersprechender Geschäftsführer einen eigenen Unterlassungsanspruch gegen den VB.

Dieser Ansicht kann der Senat nicht folgen, da sie nicht mit den grundlegenden Regeln der internen Kompetenzverteilung zwischen den Organen einer GmbH übereinstimmt. Der Geschäftsführer einer GmbH unterliegt nicht nur den Beschränkungen durch die Satzung, sondern auch den Beschlüssen der Gesellschafterversammlung. Die Gesellschafter sind das zentrale Entscheidungsorgan und bestimmen unmittelbar den Geschäftsführer. Wenn die Satzung oder ein Gesellschafterbeschluss einem Geschäftsführer einer GmbH eine bestimmte Vertretungsmacht einräumen, wird ihm damit in der Regel auch die entsprechende Geschäftsführungsbefugnis zugestanden. Der VB ist gemäß der Satzung und den Beschlüssen von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit und zur Einzelvertretung berechtigt.

Dem VK könnte ein Widerspruchsrecht nach § 115 I HGB durchaus haben, allerdings ist die Reichweite und die Rechtsfolgen dieses Rechts fraglich. Im Kontext einer Personenhandelsgesellschaft führt ein berechtigter Widerspruch dazu, dass die geplante Maßnahme grundsätzlich nicht durchgeführt werden darf. Falls sie dennoch durchgesetzt wird, kann dies eine Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung darstellen. Ein individueller Unterlassungsanspruch für Fremdgeschäftsführer einer GmbH gegenüber anderen Geschäftsführern lässt sich daraus jedoch nicht ableiten. Sein Widerspruchsrecht reicht auch nicht aus, um solch ein individuellen Unterlassungsrecht zu begründen.  

Praxishinweis | OLG Saarbrücken 1 U 91/22

Der VK geht davon aus, er müsse gegen den VB vorgehen, um sich vor etwaiger solidarischer Haftung nach § 43 II GmbHG zu schützen. Allerdings muss er nicht für das Fehlverhalten des VB einstehen, solange er angemessene Maßnahmen zum Schutz der Gesellschaft getroffen hat. Die Einberufung einer Gesellschafterversammlung könnte dem VK eine Lösung bieten, um über die Abberufung oder Einschränkung der Geschäftsführungsbefugnisse des VB zu entscheiden. Abschließend wird darauf hingewiesen das einstweilige Verfügungsverfahren nicht dazu verwendet werden kann, einen Gesellschafterstreit zwischen den Geschäftsführern zu lösen.