OLG München 5 W 774/23e
Kein Schadensersatzanspruch gegen Wirtschaftsprüfer wegen unterlassenem Hinweis auf Insolvenzreife, wenn Lagebericht der Gesellschaft bereits ein mögliches Insolvenzrisiko ausweist/Keine Prozesskostenhilfe trotz Zeugenbeweises

19.06.2024

Leitsatz | OLG München 5 W 774/23e

  1. Der Abschlussprüfer ist nicht verpflichtet, auf eine mögliche Insolvenzreife der Gesellschaft hinzuweisen, wenn sich schon aus dem Inhalt des Lageberichts ergibt, dass die Insolvenzreife von der Frage der rechtlich nicht geklärten Wirksamkeit von Rangrücktrittsklauseln abhängt.
  2. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe kann versagt werden, wenn der Antragsteller zwar für die beweisbedürftige Tatsache einen Zeugen benannt hat, eine entsprechende Aussage des Zeugen aufgrund der Umstände aber in jedem Fall unglaubwürdig wäre.

Sachverhalt | OLG München 5 W 774/23e

Der Antragsteller ist Insolvenzverwalter und begehrt in dieser Funktion die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, um gegen die Antragsgegnerin als ehemalige Wirtschaftsprüferin der Insolvenzschuldnerin Schadensersatzansprüche in Bezug auf den Insolvenzverschleppungsschaden geltend machen zu können.

Die Antragsgegnerin war von der Insolvenzschuldnerin mit der Überprüfung des Jahresabschlusses 2018 betraut. Dieser wies im Lagebericht folgenden Passus auf: „Die Gesellschaft weist zum 31.12.2018 einen nicht durch Vermögenseinlagen gedeckten Fehlbetrag aus. Eine Überschuldung im Sinne der Insolvenzordnung ist aufgrund der Rangrücktrittsvereinbarungen in den der Gesellschaft gewährten Nachrangdarlehen nicht gegeben.“

Die beschriebenen Rangrücktrittsvereinbarungen waren zu dieser Zeit Gegenstand weiterer Gerichtsverfahren, in denen die Rangrücktrittsklauseln auf ihre Wirksamkeit hin überprüft wurden. Das mit dem Prozess befasst LG Nürnberg-Fürth sah diese Klauseln unter Berücksichtigung der BGH-Rechtsprechung (insb. BGH Entscheidung v. 06.12.2018 - IX ZR 143/17) als unwirksam an (s. Aktenzeichen 10 O 3529/19 und 6 O 7066/19). Diese Entscheidung wurde rechtskräftig. Im Vorfeld hatte jedoch die Geschäftsführerin der Insolvenzschuldnerin rechtsanwaltliche Stellungnahmen zu den beanstandeten Klauseln eingeholt, in denen ihr die Wirksamkeit der Nachrangklauseln bescheinigt wurde.

Ein Hinweis auf ein mögliches Insolvenzrisiko durch die Unwirksamkeit der Nachrangklauseln durch die Antragsgegnerin ist im Rahmen der Überprüfung des Jahresabschlusses unterblieben. Für den entstandenen Insolvenzverschleppungsschaden verlangt der Antragsteller Prozesskostenhilfe. Das LG Ingolstadt hatte den Antrag abgelehnt, sowie der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers beim OLG München.

Entscheidung | OLG München 5 W 774/23e

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Nach dem bisherigen Parteivortrag besteht keine Pflichtverletzung der Antragsgegnerin. Schon deshalb besteht keine hinreichende Erfolgsaussicht. Nach der Rechtsprechung des BGH hat ein mit der Erstellung eines Jahresabschlusses beauftragte Steuerberater die Pflicht, die Mandantin auf einen möglichen Insolvenzgrund hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offensichtlich sind und er annehmen muss, dass die infragestehende Insolvenzreife der Mandantin nicht bekannt ist (BGH, Urt. v. 26.01.2017 - IX ZR 285/14). Das OLG Düsseldorf hat eine entsprechende Pflicht auch für Wirtschaftsprüfer angenommen (Urt. v. 20.12.2018 - 10 U 70/18). Jedoch konnte die Antragsgegnerin vorliegend davon ausgehen, dass die Geschäftsleitung der Insolvenzschuldnerin aufgrund der eindeutigen Formulierung des Passus´ im Lagebericht von einem entsprechenden Insolvenzrisiko in Abhängigkeit von der Wirksamkeit der Rangrücktrittsvereinbarungen wusste.

Darüber hinaus war die Unwirksamkeit der von der Insolvenzschuldnerin verwendeten Klauseln unter Berücksichtigung der BGH-Rechtsprechung (insb. BGH, Entscheidung v. 06.12.2018 - IV ZR 143/17) und der bis heute nicht abschließend geklärten Frage der Wirksamkeit von qualifizierten Nachrangdarlehen gegenüber Verbrauchern für die Antragsgegnerin nicht ohne weiteres erkennbar.

Schließlich besteht auch deshalb keine hinreichende Erfolgsaussicht, weil dem Antragsteller kein nachvollziehbarer Vortrag oder Beweis gelang, dass die Geschäftsführung der Insolvenzschuldnerin bei einem entsprechenden Hinweis durch die Antragsgegnerin umgehend einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hätte. Der so lautende Vortrag des damaligen Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin ist diesbezüglich nicht glaubhaft, denn selbst nach entgegenstehenden erstinstanzlichen Urteilen wurde die Wirksamkeit der Klauseln nach Einholung der Rechtsgutachten beteuert. Das Gericht geht davon aus, dass auch bei einem Vermerk oder Hinweis durch die Antragsgegnerin genauso verfahren worden wäre.

Praxishinweis | OLG München 5 W 774/23e

Die Entscheidung des OLG München unterstreicht, dass eine Hinweispflicht von Steuerberatern/Wirtschaftsprüfern auf möglicherweise vorliegende Insolvenzgründe nicht uneingeschränkt besteht. Keine Hinweispflicht besteht jedenfalls, wenn sich aus den Unterlagen der Mandantschaft ergibt, dass die Geschäftsleitung um etwaig bestehende Insolvenzrisiken weiß und gegenteilige Beurteilungen derselben nicht offensichtlich fehlerhaft sind.