OLG Köln 24 U 45/23
Schadensersatzansprüche aufgrund falscher Anlageberatung bei unklarer faktischer Geschäftsführung

03.06.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Köln
21.12.2023
24 U 45/23
BeckRS 2023, 39181

Leitsatz | OLG Köln 24 U 45/23

  1. Den Prozessgegner trifft die sekundäre Darlegungslast, wenn die primär darlegungsbelastete Partei hinsichtlich der Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs gem. § 826 und § 823 Abs. 2 BGB keine detaillierte Kenntnis über die relevanten Umstände hat sowie keine Möglichkeit zur Aufklärung des Sachverhalts besteht, während der Prozessgegner die wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, genauere Angaben zu machen. Kommt die Gegenpartei ihrer sekundären Darlegungslast nicht nach, ist die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen.
  2. Bei der Beurteilung, ob jemand faktisch wie ein Organmitglied handelt, ist auf das Gesamterscheinungsbild seines Auftretens abzustellen. Ausschlaggebend ist, dass die betreffende Person die Geschicke der Gesellschaft – sowohl im Innenverhältnis durch Einfluss auf die satzungsmäßige Geschäftsführung als auch im Außenverhältnis durch eigenes Handeln, das die Tätigkeit des Geschäftsführungsorgans nachhaltig prägt – maßgeblich in die Hand genommen hat.
  3. Entscheidend ist danach, ob und welche „Führungsaufgaben“ der faktische Geschäftsführer wahrgenommen hat, sowie das Ausmaß und die Intensität der von ihm übernommenen Unternehmensführung.
  4. Ein Gesellschafter wird nicht schon zum faktischen Geschäftsführer, weil er die Grundzüge der Unternehmenspolitik (mit-)bestimmt oder auf die Auswahl und Einstellung leitender Angestellter wesentlichen Einfluss ausübt. Diese Aufgaben obliegen primär der Gesellschafterversammlung.
  5. Der faktische Geschäftsführer muss im Verhältnis zum formell bestellten Geschäftsführer zumindest das deutliche Übergewicht haben bzw. die Aufgaben der Geschäftsleitung „in maßgeblichen Umfang“ übernommen haben. Nicht ausreichend ist demnach, dass neben einem bestellten Organ eine weitere Person gleichberechtigt agiert.

Sachverhalt | OLG Köln 24 U 45/23

Streitgegenstand sind Schadensersatzansprüche der Klägerin wegen fehlerhafter Anlageberatung und sittenwidriger Schädigung durch die Beklagten.

Die Beklagte zu 2) ist Versicherungsmaklerin und als zugelassene Vermögens- und Finanzberaterin Teil der CD Group. Sie wirbt u.a. für Investments in belgische Genossenschaften und vermittelt diese über ihre Finanzberaterüber, über die sie den Kundenkontakt in Versicherungs- und Finanzangelegenheiten unterhält.

Die Klägerin war Kundin des Vorgänger-Maklerbüros, welches inzwischen durch die Beklagte zu 2) – der CD GmbH – betrieben wurde. Beraten durch den Zeugen N entschied sich die Klägerin für die Anlage ihres Geldes in die „CD O Investments CVBA“ und zahlte auf Anforderung Beträge in Höhe von 75.000 € (zuzüglich Beratungshonorar i.H.v. 3.570 €) an die Beklagte zu 2). Im Jahr 2020 erhielt die Klägerin eine Gutschrift für das Geschäftsjahr 2019 in Höhe von 12.972,75 € auf ihr Privatkonto.

Im Juli 2021 übersandte die Klägerin nach Aufforderung verschiedene Unterlagen bezüglich der genannten Beteiligungen an das FA, da diese im Rahmen eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Beklagten zu 1) benötigt würden. Bei anderen Anlegern in das streitgegenständliche Geschäftsmodell kam es zudem zu steuerlichen Nachforderungen.

Die Klägerin begehrt nun im Rahmen des negativen Interesses Schadensersatz aus dem zustande gekommenen Anlageberatungsvertrags sowie gesamtschuldnerisch aus Delikt. Sie ist der Ansicht, dass sie in Bezug auf die Risiken der Anlage und in Bezug auf die steuerliche Behandlung unzutreffend beraten wurde. Zudem sei das Beteiligungskonstrukt als Schneeballsystem aufgebaut und die streitgegenständlichen Anlagebeteiligungen habe es nie gegeben. Durch unrichtige Angaben sei die Klägerin im Zusammenhang mit dem Erwerb der Beteiligungen an der „CD O Investments CVBA“ veranlasst worden, die Anlagebeträge zur vermeintlichen Weiterleitung auf das Konto der CD GmbH zu überweisen. Den Anlegern werde vorgespiegelt, dass sie Gewinne erzielen würden, die tatsächlich aus den Einzahlungen anderer Anleger stammten.

Der Beklagte zu 1) sei Anführer und treibende Kraft hinter dem Schneeballsystem. Er habe bedeutende Positionen in der CD-Group bekleidet und auch die unternehmerischen Geschicke der Beklagten zu 2) gelenkt. Obwohl formell teilweise andere Personen als Geschäftsführer fungierten, habe der Beklagte zu 1) jedoch stets als faktischer Geschäftsführer der Beklagten zu 2) gehandelt.

Die Beklagten argumentieren, dass der Vortrag der Klägerin teilweise zu allgemein sei, um einlassungsfähig zu sein. Die Beklagte zu 2) sei nicht rechtsgeschäftlich durch die Finanzberater vertreten worden. Kundenkontakte in Versicherungs- und Finanzangelegenheiten kamen lediglich über ihre Finanzberater zustanden.

Das Landgericht verurteilte die Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz des negativen Interesses wegen vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigung gem. §§ 826, 840, 249 BGB.

Entscheidung | OLG Köln 24 U 45/23

Die Berufung der Beklagten zu 1) bleibt in der Sache im Wesentlichen ohne Erfolg. Das LG habe zurecht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gem. § 826 BGB gegen den Beklagten zu 1) festgestellt.

Gemäß der Rspr. des BGH seien die Verantwortlichen einer Gesellschaft gem. § 826 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, wenn das von ihnen betriebene Geschäftsmodell der Gesellschaft von Anfang an darauf abzielt, Kunden zu täuschen und zu schädigen (Schwindelunternehmen).

Grundsätzlich obliege es dem Geschädigten, die spezifischen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs gemäß § 826 BGB oder einer deliktischen Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes darzulegen und zu beweisen. Dieser Grundsatz erfahre jedoch eine Ausnahme, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine detaillierte Kenntnis über die relevanten Umstände hat sowie keine Möglichkeit zur Aufklärung des Sachverhalts besteht, während der Prozessgegner die wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, genauere Angaben zu machen. In diesen Fällen obliege es der Gegenpartei, sich im Rahmen ihrer Erklärungspflicht nach § 138 Abs. 2 ZPO zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substantiiert zu äußern (sekundäre Darlegungslast). Kommt die Gegenpartei ihrer sekundären Darlegungslast nicht nach, sei die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen.

Gemäß diesen Maßstäben genüge das Vorbringen – Bezugnahme auf strafrechtliche Ermittlungsergebnisse – der Klägerin, die die internen Verhältnisse der Unternehmensgruppe nicht kennt, den Anforderungen an die schlüssige Darlegung der Voraussetzungen. Diesem Vortrag seien die Beklagten nicht substantiiert entgegengetreten – etwa durch Nachweis der Mittelverwendung.

Lediglich die vom LG zuerkannten Deliktszinsen seien zu hoch berechnet, da die zurückerhaltenen Teilauszahlungen in Höhe von 12.972,42 € unberücksichtigt blieben.

Auch die Berufung der Beklagten bleibt in der Sache weitgehend ohne Erfolg. Allerdings hafte der Beklagte zu 2) der Klägerin gegenüber nicht aus § 826 BGB.

Im Ansatz zutreffend sei die Feststellung des LG, dass auf inländische juristischen Personen des Privatrechts – wie die Beklagte zu 2) – die Vorschrift des § 31 BGB analog anzuwenden ist. Zu den „anderen verfassungsmäßig berufenen Vertretern“ i.S.d. § 31 BGB seien insbesondere auch die sog. faktischen Geschäftsführer zu zählen.

Nach der ständigen Rspr. des BGH sei bei der Beurteilung, ob jemand faktisch wie ein Organmitglied gehandelt hat, auf das Gesamterscheinungsbild seines Auftretens abzustellen. Maßgeblich sei, dass die betreffende Person die Geschicke der Gesellschaft – sowohl im Innenverhältnis durch Einfluss auf die satzungsmäßige Geschäftsführung als auch im Außenverhältnis durch eigenes Handeln, das die Tätigkeit des Geschäftsführungsorgans nachhaltig prägt – maßgeblich in die Hand genommen hat. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, ob und welche „Führungsaufgaben“ der faktische Geschäftsführer wahrgenommen hat, sowie das Ausmaß und die Intensität der von ihm übernommenen Unternehmensführung.

Ein Gesellschafter könne nicht schon zum faktischen Geschäftsführer werden, weil er die Grundzüge der Unternehmenspolitik (mit-)bestimmt oder auf die Auswahl und Einstellung leitender Angestellter wesentlichen Einfluss ausübt. Obwohl all diese Aufgaben wirtschaftlich betrachtet originäre Führungs- bzw. Managementaufgaben seien, liege sie rechtlich gesehen primär der Gesellschafterversammlung ob.

Nach der strafrechtlichen Rechtsprechung müsse der faktische Geschäftsführer im Verhältnis zum formell bestellten Geschäftsführer eine herausragende Stellung in der Gesellschaft einnehmen oder zumindest das deutliche Übergewicht haben. Es reiche nicht aus, dass neben einem bestellten Organ eine weitere Person gleichberechtigt agiert. Nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung müsse er die Aufgaben der Geschäftsleitung „in maßgeblichen Umfang“ übernommen haben.

Dass diese Erfordernisse auf die Rolle des Beklagten zu 1) bei der Beklagten zu 2) zutreffen, könne dem Vortrag der Klägerin nicht entnommen werden.

Stattdessen hafte die Beklagte zu 2) gegenüber der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 32, 54 KWG. Soweit die Beklagte zu 2) das Vorliegen eines Anlageberatungsvertrages mit der Klägerin anzweifle und geltend mache, sie sei lediglich deren Versicherungsmaklerin gewesen, sei dieses Vorbringen unbeachtlich. Denn nach dem unbestrittenen Klägervortrag seien die einzelnen Investitionen der Klägerin jeweils im Anschluss an eine entsprechende Beratung durch den Berater, der als Mitarbeiter des Beklagten zu 2) aufgetreten sei, unter Verwendung von Vordrucken der Beklagten zu 2) vorgenommen worden. Hinzu komme die Inrechnungstellung von „Beratungshonoraren“ durch die Beklagte zu 2) im Zuge der getätigten Kapitalanlagen.

Praxishinweis | OLG Köln 24 U 45/23

Das OLG Köln konkretisiert in der vorliegenden Entscheidung die Anforderungen an den faktischen Geschäftsführer im Rahmen der Handlungs- und Verschuldenszurechnung nach § 31 BGB (analog). Abzustellen ist dabei maßgeblich auf das Gesamterscheinungsbild seines Auftretens sowie auf das Lenken der Geschicke der Gesellschaft im Außenverhältnis und das Ausmaß und die Intensität der übernommenen „Führungsaufgaben“ – insbesondere gegenüber dem formell bestellten Geschäftsführer.

Zu beachten ist außerdem, dass den Beklagten einer Klage auf Schadensersatz nach § 826 bzw. § 823 Abs. 2 BGB die sekundäre Beweislast trifft, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine detaillierte Kenntnis über die relevanten Umstände hat sowie keine Möglichkeit zur Aufklärung des Sachverhalts besteht, während der Prozessgegner die wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, genauere Angaben zu machen. Dies wird bei vermeintlicher Schädigungen im Rahmen unternehmerischer Strukturen und Tätigkeiten regelmäßig der Fall sein. Erfolgt keine substantiierte Äußerung zu den Behauptungen der primär beweispflichtigen Partei, sind diese nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen.