OLG München 8 U 4257/21
Sittenwidrigkeit eines Testats nur bei qualifizierter Nachlässigkeit des Wirtschaftsprüfers

05.05.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG München
21.04.2022
8 U 4257/21
EWiR 2022, 455 (Baumert)

Leitsatz | OLG München 8 U 4257/21

  1. Die Erteilung eines unrichtigen Testats für einen Jahresabschluss durch einen Wirtschaftsprüfer kann bei einer besonders schwerwiegenden Verletzung der Sorgfaltspflichten sittenwidrig i.S.d. § 826 BGB sein.
  2. Der Sittenverstoß setzt ein leichtfertiges und gewissenloses Verhalten des Auskunftsgebers voraus. Die Vorlage eines unrichtigen Bestätigungsvermerks allein reicht dabei nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass der Wirtschaftsprüfer seine Aufgabe qualifiziert nachlässig erledigt, z.B. durch unzureichende Ermittlungen oder durch Angaben ins Blaue hinein, und dabei eine Rücksichtslosigkeit an den Tag legt, die angesichts der Bedeutung des Bestätigungsvermerks für die Entscheidung Dritter als gewissenlos erscheint. Ob dies der Fall ist, kann nur dann sachgerecht beantwortet werden, wenn vorher geklärt wird, ob und in welchen Punkten der Jahresabschluss objektive Fehler enthält.
  3. Anders als im Falle des Abschlussprüfers von Wirecard (vgl. dazu OLG München, Hinw. v. 9.12.2021 - 8 U 6063/21, BeckRS 2021, 43191) kommt Containerkäufern wie den Klägern kein Erfahrungssatz dahingehend zugute, dass aufgrund des gewöhnlichen Laufs der Dinge davon auszugehen wäre, dass die - unterstellt gebotene - Verweigerung oder weitere Einschränkung der Testate durch den Beklagten bekannt geworden wäre oder sonst zu einem früheren Insolvenzantrag oder zu einem früheren Zusammenbruch des behaupteten „Schneeballsystems“ von P&R geführt hätte.

 

Sachverhalt | OLG München 8 U 4257/21

Die Kläger hatten 2015 einen Kauf- und Verwaltungsvertrag mit einem Unternehmen der P&R-Gruppe über 17 Seefrachtcontainer geschlossen. Das Konzept sah im Gegenzug feste Mietzinszahlungen vor und stellte einen bestimmten Rückkaufpreis in Aussicht. 2018 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der vier deutschen Gesellschaften der P&R Gruppe eröffnet. Der Beklagt ist Wirtschaftsprüfer und seit 2006 als Jahresabschlussprüfer der deutschen P&R-Gesellschaften bestellt. Die Kläger verlangen von ihm nun Schadensersatz in Höhe ihres Investmentverlusts von 25.920 € nebst Zinsen.

Die P&R-Gesellschaft sei nach Aussage der Kläger seit 2007 überschuldet. Außerdem habe die P&R-Gruppe ab diesem Jahr ein Schneeballsystem betrieben. Demnach seien die Gelder der neuen Anleger nicht mehr für den Kauf von Containern, sondern für Auszahlungen an Altanleger verwendet worden.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen

Entscheidung | OLG München 8 U 4257/21

Das OLG München hat die Berufung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO als unbegründet zurückgewiesen.

In den - hier nicht abgedruckten - LS 1-5 verneint das Gericht zum einen eine spezialgesetzliche Prospekthaftung aus § 20 VermAnlG. Denn die Kläger haben ihr Investment bereits vor dem 31.12.2016 getätigt, die Kauf- und Verwaltungsverträge der P&R-Gruppe unterlagen aber wegen einer später geschlossenen Regelungslücke erst ab diesem Zeitpunkt einer gesetzlichen Prospektpflicht. Auch Ansprüche aus richterrechtlicher Prospekthaftung im engeren Sinn scheiden aus, da keine gemeinsame unternehmerische Betätigung der Anleger am Markt vorlag. Schließlich liegt auch keine allgemeine Prospekthaftung im weiteren Sinn vor, weil der Beklagte keine Verantwortung für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Prospekts und die Seriosität des Geschäftsmodells übernommen hat, die über seine eigentliche Aufgabe als Abschlussprüfer hinausgeht.

Des Weiteren besteht kein Anspruch aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Zwar können in den Schutzbereich des Abschlussprüfervertrags zwischen einer Kapitalgesellschaft und einem Abschlussprüfer grundsätzlich Dritte einbezogen werden. Allerdings sind im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte gegeben, dass die Prüfung im Interesse des Klägers vorgenommen wurde. Auch besteht keine vorvertragliche Aufklärungsverpflichtung im Hinblick auf eine möglicherweise zusätzlich zur Abschlussprüfung übernommenen Prüfung der Mietauszahlungen und Rückkäufe. Hierzu ist nach Ansicht des OLG Münchens bereits der Sachvortrag nicht schlüssig.

Es liegen keine unerlaubten Handlungen vor, insbesondere bestehen keine Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 332 HGB und § 826 BGB. Zwar fällt der von den Klägern behauptete Schaden, anders als vom Vorgericht angenommen, in den Schutzbereich von § 826 BGB. Für eine Haftung wegen sittenwidriger Schädigung muss der Abschlussprüfer „qualifiziert nachlässig“ handeln.

Jedoch ist selbst bei unterstellter Pflichtverletzung keine haftungsbegründende Kausalität gegeben. Anders als im Falle des Abschlussprüfers von Wirecard kommt vorliegend den Klägern kein Erfahrungssatz dahingehend zugute, dass bei einer Verweigerung oder weiteren Einschränkung der Testate das Investment unterblieben wäre. Es kann u.a. nicht davon ausgegangen werden, dass die Geschäftsführung bei Verweigerung oder Einschränkung sofort einen Insolvenzantrag nach § 15a InsO gestellt hätte. Vielmehr scheint es dem Senat naheliegend, dass sie das behauptete "Schneeballsystem" zu ihrem finanziellen Vorteil bis zu dessen Zusammenbruch fortgesetzt hätte. Schließlich können sich die Kläger nicht auf einen Erfahrungssatz berufen, dass der Zeichnungsschaden der Anleger bei pflichtgemäßem Verhalten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge vermieden worden wäre. Die Kläger haben keinen geeigneten Beweis für den von ihnen unterstellten Kausalverlauf erbracht. Ihren unsubstantiierten Ausführungen kann nicht entnommen werden, dass sie selbst Prüfberichte oder Bestätigungsvermerke unmittelbar zur Kenntnis genommen hätten, wodurch eine Kausalität dieser Berichte… für das von den Klägern getätigte Investment nicht angenommen werden kann.

Praxishinweis | OLG München 8 U 4257/21

Begrüßenswert ist die umfassende Aufstellung der Leitsätze und Herausarbeitung der Haftungsgrundsätze für Abschlussprüfer nach § 826 BGB. Auch der BGH stellt in seiner Rechtsprechung für die Haftung von nicht im Außenverhältnis gegenüber Anlegern auftretende Wirtschaftsprüfer oder sonstige „Experten“ hohe Hürden auf.

Kritisiert wird jedoch die Entscheidung des OLGs, einen Beschluss nach § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu fassen. Die ausgesprochen umfassenden Ausführungen und Leitsatzaufstellung sprechen eher dafür, dass die Zulassungsvoraussetzungen der Revision wegen Rechtsgrundsätzlichkeit oder Fortbildung des Rechts vorliegen (s. Baumert, EWiR 2022, 455).