LSG Bayern L 6 BA 97/21
Statusrechtliche Beurteilung des nicht in das Handelsregister eingetragenen Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH

10.05.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

LSG Bayern
06.12.2023
L 6 BA 97/21
BeckRS 2023, 40296

Leitsatz | LSG Bayern L 6 BA 97/21

  1. Nach dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlich relevanter Sachverhalte darf sich der prüfende Sozialversicherungsträger bei seiner Entscheidung auf die (negative) Publizität des Handelsregisters stützen, auch wenn dieses von der materiellen Rechtslage abweicht.
  2. Dies gilt auch, soweit der Eintragung in das Handelsregister lediglich deklaratorischer Charakter zukommt (hier: Eintragung des Geschäftsführers einer GmbH nach § 39 GmbH-Gesetz).

Sachverhalt | LSG Bayern L 6 BA 97/21

Streitgegenstand ist die Pflicht der klagenden GmbH zur Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen aufgrund der Tätigkeit des Beigeladenen für die Klägerin.

Die GmbH wurde im Jahr 2010 durch die jeweils zu 50 % beteiligten Gesellschafter gegründet. Entsprechend § 11 Nr. 9 der Satzung werden Beschlüsse, sofern das Gesetz und die Satzung keine größere Mehrheit vorsehen, mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. Nach dem Tod eines Gesellschafters veräußerte der Erbe dessen Geschäftsanteile von 50 % an den Beigeladenen. Der Beigeladene wurde mit Gesellschafterbeschluss mit Wirkung vom 01.01.2015 zum alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer bestellt. Die Bestellung wurde erst im Jahr 2019 in das Handelsregister eingetragen.

Der Geschäftsführer-Anstellungsvertrag des Beigeladenen bestimmt, dass die Geschäfte mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns nach Maßgabe der Gesetze, des Gesellschaftsvertrages, einer etwaigen Geschäftsordnung und der Gesellschafterbeschlüsse zu führen sind. Darüber hinaus enthält der Vertrag Regelungen zu einer festen Jahresvergütung mit monatlicher Auszahlung, zu Nebentätigkeiten, zur Entgeltsfortzahlung im Krankheitsfall und zum Urlaubsanspruch.

Bei einer Betriebsprüfung für die Jahre 2015 bis 2018 stellte der Sozialversicherungsträger fest, dass der Beigeladene in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer bis zu seiner Eintragung in das Handelsregister in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe und somit sozialversicherungspflichtig sei. Sozialversicherungsbeiträge wurden nicht bezahlt. Der Sozialversicherungsträger erhob daraufhin eine Beitragsnachforderung.

Nachdem der hiergegen eingelegte Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen wurde, erhob sie hiergegen Klage vor dem SG. Das SG wies die Klage mit Urteil vom 20.09.2021 als unbegründet ab. Daraufhin legte die Klägerin gegen das Urteil des SG Berufung beim Landessozialgericht ein.

Entscheidung | LSG Bayern L 6 BA 97/21

Nach Auffassung des LSG Bayern ist die Berufung der Klägerin zwar zulässig, aber unbegründet. Der beklagte Sozialversicherungsträger habe zu Recht die Sozialversicherungspflicht des Beigeladenen festgellt und eine Beitragsnachforderung erhoben, da der Beigeladene bei der klagenden GmbH als Geschäftsführer abhängig beschäftigt und damit sozialversicherungspflichtig gewesen sei.

Nach der Rspr. des BSG setze eine sozialversicherungsrechtliche Beschäftigung i.S.d. § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitsgeber voraus. Diese sei gegeben, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliege (vgl. § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV). Auf der anderen Seite sei eine selbstständige Tätigkeit geprägt durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die wesentliche freie Gestaltung der Tätigkeit und Arbeitszeit. Die Unterscheidung zwischen abhängiger Beschäftigung oder selbstständiger Tätigkeit richte sich nach einer wertenden Zuordnung unter Berücksichtigung der genannten Umstände nach dem Gesamtbild der Tätigkeit und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen.

Diese Maßstäbe fänden auch bei der statusrechtlichen Beurteilung der Tätigkeit eines GmbH-Geschäftsführers Anwendung.

Ist jedoch der Geschäftsführer einer GmbH gleichzeitig als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, seien ebenfalls der Umfang seiner Kapitalbeteiligung und der daraus resultierende Einfluss auf die Gesellschaft wesentliche Kriterien für die Unterscheidung zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbständigkeit.

Besitze der Gesellschafter-Geschäftsführer über die Stellung als Gesellschafter hinaus aufgrund seiner Kapitalbeteiligung die Rechtsmacht durch Einflussnahme auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen, wird seine Tätigkeit regelmäßig als selbstständig einzuordnen sein. Rechtsmacht liege vor, wenn mehr als 50 % der Anteile am Stammkapital gehalten werden. Ausnahmsweise sei der Gesellschafter-Geschäftsführer auch als selbstständig anzusehen, wenn er exakt 50 % der Anteile am Stammkapital hält oder ihm bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende, die gesamte Tätigkeit des Unternehmens erfassende Sperrminorität eingeräumt ist.

Vom Geschäftsführer zu unterscheiden sei der mitarbeitende Gesellschafter, der nur als selbstständig angesehen werde, wenn er in der Lage ist, individuelle Anweisungen der Geschäftsführung zu verhindern. Dies sei anzunehmen, wenn es sich um einen Alleingesellschafter oder einen Mehrheitsgesellschafter handelt (mehr als 50 % Anteile), der keiner Stimmrechtsbindung unterliegt.

Von diesen Grundsätzen ausgehend konnte das LSG Bayern eine selbstständige Tätigkeit des Beigeladenen nicht feststellen. So weise der Geschäftsführer-Anstellungsvertrag typische Merkmale eines Beschäftigungsverhältnisses auf (z.B. Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung, Jahresvergütung mit monatlicher Auszahlung, Urlaubsanspruch, etc.).

Zwar komme dem Beigeladenen neben seiner Bestellung als Geschäftsführer aufgrund seines Geschäftsanteils von 50 % grundsätzlich auch eine Sperrminorität zu. Aufgrund der fehlenden Eintragung ins Handelsregister sei er jedoch lediglich als mitarbeitender Gesellschafter zu betrachten. Der Annahme einer selbstständigen Tätigkeit stehe somit die vom BSG geforderte Vorhersehbarkeit und Klarheit sozialversicherungs- und beitragsrechtlich relevanter Sachverhalte entgegen. Nach st. Rspr. des BSG seien nur solche Rechtspositionen in die statusrechtliche Bewertung einzubeziehen, die der Versicherungsträger bereits zu Beginn des zu beurteilenden Zeitraums klar hätte erkennen können.

Die Bestellung eines Geschäftsführers muss gem. § 39 Abs. 1 GmbHG ins Handelsregister eingetragen werden. Unterbleibt die grundsätzlich rein deklaratorische Eintragung Handelsregister, könne die durch Gesellschafterbeschluss vorgenommene Bestellung die gesellschaftsvertraglichen Rechtsmachtverhältnisse nicht mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung verschieben. Der Kläger könne sich also sozialversicherungsrechtlich nicht auf die Bestellung des Beigeladenen als Geschäftsführer berufen (negative Publizität des Handelsregisters nach § 15 HGB).

Praxishinweis | LSG Bayern L 6 BA 97/21

Die Grundsätze der Vorhersehbarkeit und Klarheit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände sind ständige Rechtsprechung der Sozialgerichtbarkeit. Gemäß dieser Grundsätze ist bei der statusrechtlichen Beurteilung eines GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers allein auf die Eintragung in das Handelsregister abzustellen. Der (fehlende) Inhalt des Handelsregisters gilt somit auch gegenüber den Sozialversicherungsträgern (positive und negative Publizität des Handelsregisters). Eine Eintragung der Bestellung eines (Gesellschafter-)Geschäftsführers ins Handelsregister sollte also zügig erfolgen, um etwaige Sozialversicherungsbeiträge bzw. etwaige hohe Nachzahlungen zu vermeiden.

Zu beachten ist, dass der Fall noch nicht rechtskräftig entschieden ist. Die Klägerin hat Revision vor dem BSG eingelegt (Az.: B 12 BA 1/24 R).