OLG Karlsruhe 1 W 71/21 (Wx)
Zur Bestellung eines Notgeschäftsführers, wenn die GmbH aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen geschäftsführerlos wird

27.01.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Karlsruhe
27.04.2022
1 W 71/21 (Wx)
GmbHR 2022, 704

Leitsatz | OLG Karlsruhe 1 W 71/21 (Wx)

  1. Ist oder wird eine GmbH aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen geschäftsführerlos, also führungslos (vgl. § 35 Abs. 1 GmbHG), und ist die Gesellschafterversammlung nicht in der Lage, einen Geschäftsführer zu bestellen, so kann auf Antrag durch das Registergericht am Sitz der Gesellschaft in dringenden Fällen ein Notgeschäftsführer bestellt werden.
  2. Ein dringender Fall für die Bestellung eines Notgeschäftsführers liegt nur dann vor, wenn die Gesellschaftsorgane selbst nicht in der Lage sind, innerhalb einer angemessenen Frist den Mangel zu beseitigen und der Gesellschaft oder einem Beteiligten ohne Notgeschäftsführerbestellung Schaden drohen würde oder eine alsbald erforderliche Handlung nicht vorgenommen werden würde.
  3. Die gerichtliche Bestellung eines Notgeschäftsführers ist dabei immer „ultima ratio“ und kommt nur in Betracht, wenn keine andere Möglichkeit besteht, die Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft zu beseitigen.

Sachverhalt | OLG Karlsruhe 1 W 71/21 (Wx)

Die Gesellschafter der streitgegenständigen GmbH waren je zu gleichen Teilen die Beteiligten zu 1 bis 3 sowie D. D verstarb am 17.10.2020. Die Beteiligte zu 2 und D sind die Eltern der Beteiligten zu 1 und 3. D war bis zu seinem Tod Alleingeschäftsführer der Gesellschaft und ein neuer Geschäftsführer ist bislang nicht bestellt. Daher beantragte der Beteiligte zu 1 am 16.08.2021 sich selbst oder hilfsweise die Beteiligte zu 3 als weitere Gesellschafterin zum Notgeschäftsführer zu bestellen. Die Beteiligte zu 2 sei aufgrund eines gemeinschaftlichen Testaments Alleinerbin des D. Allerdings sei sie aufgrund von Demenz geschäftsunfähig und die Beteiligte zu 3 erkenne das Erbe nicht an. Da sich die Beteiligten zu 1 und 3 nicht auf einen Geschäftsführer einigen können, sei die Bestellung eines Notgeschäftsführers erforderlich, um Schaden von der Gesellschaft abzuwenden.

Der Antrag wurde vom AG mit Beschluss vom 16.08.2021, welcher den Beteiligten am 30.09.2021 zugestellt wurde, zurückgewiesen. Hiergegen hat der Beteiligte zu 1 mithilfe eines Schriftsatzes seines Verfahrensbevollmächtigten vom 13.10.2021 Beschwerde eingelegt. Der Beschwerde wurde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Außerdem wurde M durch gerichtlichen Beschluss vom 11.02.2022 als Betreuerin für die Beteiligte zu 2 bestellt.

Entscheidung | OLG Karlsruhe 1 W 71/21 (Wx)

Die Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist zudem begründet und hat somit in der Sache Erfolg.

Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Notgeschäftsführers liegen nach Ansicht des Senat gemäß § 29 BGB analog zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung vor. Danach könne auf Antrag durch das Registergericht am Sitz der Gesellschaft in dringenden Fällen ein Notgeschäftsführer bestellt werden, wenn eine GmbH aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen geschäftsführerlos ist oder wird und die Gesellschafterversammlung nicht in der Lage ist, einen Geschäftsführer zu bestellen. Ein solcher dringender Fall liege vor, wenn die Gesellschaftsorgane nicht in der Lage sind, den Mangel innerhalb einer angemessenen Frist zu beseitigen und der Gesellschaft infolgedessen Schaden drohen würde oder eine erforderliche Handlung nicht vorgenommen werden könnte. Die gerichtliche Bestellung eines Notgeschäftsführer sei immer „ultima ratio“.

Die Gesellschaft ist durch den Tod des D geschäftsführerlos. Die Gesellschafterversammlung könne gemäß § 50 Abs. 3 GmbHG durch die übrigen Gesellschafter einberufen werden. Die Ladung ist gemäß §§ 40 Abs. 1, 16 Abs. 1 GmbHG an die in die Gesellschafterliste eingetragenen Gesellschafter zu richten. Dies ist seit der Bestellung einer Betreuerin auch im Falle der Beteiligten zu 2 möglich, denn die Betreuerin könne die Beteiligte zu 2 auch in der Gesellschafterversammlung vertreten. Da D noch immer in der Gesellschafterliste ist, obwohl er verstorben ist, und die Erbfolge mangels Erbscheins noch unbekannt ist, könne eine ordnungsgemäße Ladung jedoch nicht erfolgen. Es sei tatsächlich nicht völlig ausgeschlossen, dass D die Einsetzung der Beteiligten zu 2 in dem gemeinschaftlichen Testament später widerrufen und anderweitig testiert hat, auch wenn dafür die Voraussetzungen der §§ 2271 Abs. 1 S. 1, 2296 BGB erfüllt sein müssen. Für eine ordnungsgemäße Ladung müsse sodann eine Nachlasspflegschaft gemäß § 1960 BGB eingeleitet und entweder die unbekannten Erben oder der Nachlasspfleger in die Gesellschafterliste eingetragen werden. Solange dies nicht stattfindet, sei die Einberufung einer Gesellschafterversammlung und dementsprechend das Bestimmen eines neuen Geschäftsführers nicht möglich. Insbesondere sei das Erbscheinsverfahren nicht vorrangig durchzuführen. Dies würde ohnehin nicht zu einer Ermöglichung der ordnungsgemäßen Ladung führen, da die Erben erst nach Eintragung in die Gesellschafterliste im Verhältnis zur Gesellschaft als teilnahmeberechtigte Gesellschafter gelten, sodass die Versammlung mangels Teilnahme des verstorbenen D ebenfalls keine wirksamen Beschlüsse fassen könne.

Da ein dringender Fall i.S.d. § 29 BGB analog vorliege, liegen die Voraussetzungen für die Bestellung eines Notgeschäftsführers vor. Allerdings sei der Aufgabenkreis des Notgeschäftsführers darauf zu beschränken, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Gesellschafter einen neuen Geschäftsführer bestellen können. D.h. er müsste die Gesellschafterliste entsprechend der unbekannten Erbfolge ändern und eine Gesellschafterversammlung einberufen. Wegen dieser Beschränkung sei es auch gerechtfertigt, den Beteiligten zu 1 zum Notgeschäftsführer zu bestellen.

Praxishinweis | OLG Karlsruhe 1 W 71/21 (Wx)

Der Fall zeigt ein Zusammenspiel mehrerer Gründe, die die Bestellung eines neuen Geschäftsführers unmöglich machen. Trotzdem macht das Gericht deutlich, dass eine gerichtliche Bestellung eines Notgeschäftsführers lediglich erfolgt, wenn keine anderen Möglichkeiten ersichtlich sind, die die Bestellung eines Geschäftsführers durch die Gesellschaftsorgane selbst möglich machen. Um sich möglichst gut abzusichern und eine geschäftsführerlose Gesellschaft zu vermeiden, sollte der Geschäftsführer einem Vertreter eine Generalvollmacht erteilen. Dieser könnte dann die Gesellschafterliste entsprechend ändern und sodann die Gesellschafterversammlung zur Bestellung eines neuen Geschäftsführers einberufen.