SG Dresden S 45 BA 49/22
Abhängiges Beschäftigungsverhältnis von GmbH-Gesellschaftern trotz Gesellschaftsbeteiligung

17.06.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

SG Dresden
10.05.2024
S 45 BA 49/22
derzeit n. v.

Leitsatz | SG Dresden S 45 BA 49/22

  1. Für die Bewertung, ob der Geschäftsführer einer GmbH in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zu dieser steht, ist entscheidend, ob er aufgrund seiner Rechtsmacht, die ihm aus dem Gesellschaftsvertrag zukommt, unliebsame Weisungen verhindern oder Beschlüsse widerrufen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen. Eine Beteiligung von weniger als 50 % an der Gesellschaft spricht jedenfalls für eine abhängige Beschäftigung.
  2. Die Mitteilung von Änderungen an den Gesellschaftsanteilen durch einen Steuerberater gegenüber einem Rentenversicherungsträger hat keinen Einfluss auf die Bewertung der abhängigen Beschäftigung, insbesondere wenn die Mitteilung nur einen Geschäftsführer betrifft.

Sachverhalt | SG Dresden S 45 BA 49/22

Die Parteien streiten über den sozialversicherungsrechtlichen Status der Geschäftsführer einer GmbH im Rahmen ihrer Tätigkeit von 2018 bis 2022 bei der Deutschen Rentenversicherung Bund. Die GmbH klagt darauf, festzustellen, dass keine abhängige Beschäftigung ausgeübt wurde und somit Versicherungsfreiheit in der Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung bestand, während im weiteren Prüfungszeitraum bis zum 15. Februar 2022 jedoch Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung bestand.

Ursprünglich war Geschäftsführer 1 mit 67 % des Stammkapitals an der GmbH beteiligt; Geschäftsführer 2 hielt die übrigen Anteile. Eine Umstrukturierung des Gesellschaftskapitals wurde 2015 vereinbart, bei der die Anteile von Geschäftsführer 1 aufgeteilt und an Geschäftsführer 2 abgetreten wurden. Die Gesellschafterliste, welche die neue Aufteilung der Geschäftsanteile enthielt, aber an der Zuordnung zur GmbH und zu Geschäftsführer 1 noch keine Änderungen vornahm, wurde zwei Wochen nach dieser Vereinbarung ins Handelsregister aufgenommen. Am 14.01.2017 bestätigte Geschäftsführer 1 den Erhalt des Kaufpreises und bat den Notar, die aktualisierte Gesellschafterliste einzureichen, was jedoch zunächst nicht im Handelsregister bekannt gegeben wurde.

Eine Betriebsprüfung ergab Nachforderungen und Überzahlungen. Es wurde zudem festgestellt, dass Geschäftsführer 2 von Januar 2018 bis Februar 2022 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stand und somit sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, während Geschäftsführer 1 in diesem Zeitraum nicht sozialversicherungspflichtig war. Ab Februar 2022 wurden beide Geschäftsführer sozialversicherungspflichtig.
2019 besaß Geschäftsführer 1 nur noch 25 % der Anteile. Eine Betriebsprüfung im Januar 2022 führte zu einem Bescheid, der Nachforderungen und Überzahlungen sowie die Versicherungspflicht aufgrund eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses als Gesellschafter und Geschäftsführer von Geschäftsführer 2 und später auch von Geschäftsführer 1 feststellte. Dabei wurde auf die Gesellschafterliste im Handelsregister als maßgeblich für die Beurteilung der Sozialversicherungspflicht verwiesen.

Von einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung eines Gesellschafter-Geschäftsführers ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG auszugehen, wenn der Geschäftsführer funktionsgerecht dienend am Arbeitsprozess teilnimmt, für seine Beschäftigung entsprechendes Arbeitsentgelt erhält und keinen maßgeblichen Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft hat. Maßgeblichen Einfluss hat er dann, wenn er allein über die für die Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung erforderliche Mehrheit verfügt. Ausnahmsweise kann er auch dann als selbstständig angesehen werden, wenn ihm bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt wird. Grundlage der Beurteilung können nur die Angaben sein, die dem Handelsregister entnommen werden können.

Änderungen an den Geschäftsanteilen können insbesondere nur dann Berücksichtigung finden, sobald die entsprechenden Gesellschafterlisten zum Handelsregister eingereicht werden. § 40 Abs. 1, 2 GmbHG enthält eine Aktualisierungspflicht für die Gesellschafterliste. Allein eine schuldrechtliche Verpflichtung zur Abtretung von Anteilen genügt nicht, um daran sozialrechtlich anzuknüpfen.

Nach Gesamtwürdigung sei darauf abzustellen, dass ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, soweit nicht mindestens ein Anteil von 50 % der Geschäftsanteile und damit verbunden eine Sperrminorität ausweislich der über das Handelsregister veröffentlichten Gesellschafterliste bestanden hat. Der Widerspruch der klagenden GmbH wurde zurückgewiesen, da ausschließlich die über das Handelsregister einsehbaren Gesellschafterlisten ausschlaggebend seien, wie sich aus der Fiktion der Gesellschafterstellung nach § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG ergebe. Daraufhin erhebt die GmbH 2022 Klage beim Sozialgericht Dresden.

Als Begründung wurde angeführt, dass bei der Betrachtung der Sozialversicherungspflichtigkeit nicht ausschließlich die über das Handelsregister publizierten Verhältnisse zu betrachten seien. Soweit in der Rechtsprechung des BSG unter diesem Gesichtspunkt eine Art von Missbrauchsschutz erfordert werde, sei dies im vorliegenden Fall nicht notwendig, da die Abtretung der Gesellschaftsanteile in einem notariellen Vertrag geregelt gewesen sei und zeitlich sicher zugeordnet werden könnten. Auch in einer Gesellschaft mit nur zwei Gesellschaftern, die zugleich Geschäftsführer seien, sei diese Betrachtungsweise nicht gerechtfertigt. Die schuldrechtlich vereinbarten Übertragungen der Geschäftsanteile seien durch die Abtretungen vollzogen und „in der Praxis gelebt“ worden. Dies sei an der Protokollierung der Mehrheitsverhältnisse in den Niederschriften zu den Gesellschafterversammlungen und auch an der Körperschaftssteueranmeldung für das Jahr 2017 erkennbar. Infolge des Schreibens des Steuerberaters habe die Deutsche Rentenversicherung die Gesellschaftsverhältnisse kennen oder zumindest ermitteln müssen. Geschäftsführer 1 habe außerdem jeweils zeitnah den Notar mit der Veranlassung der Einreichung der Gesellschafterliste beauftragt. Zudem hätten frühere Betriebsprüfungen keine Beanstandungen ergeben.

Entscheidung | SG Dresden S 45 BA 49/22

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die beiden Geschäftsführer standen in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur GmbH und unterlagen der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie der Pflicht zur Zahlung von Beiträgen zum Umlageverfahren U2 und der Insolvenzgeldumlage. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ergibt sich, dass eine abhängige Beschäftigung eine persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber voraussetzt. Die hierfür entwickelten Abgrenzungsmaßstäbe gelten grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH, wobei es in solchen Fällen primär darauf ankommt, ob der Geschäftsführer nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse widerrufen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen (BSG, Urteil vom 7. Juli 2020 – B 12 R 17/18 R –, Rn. 16). Bei einer Beteiligung von weniger als 50% an der Gesellschaft liegt eine derartige abhängige Beschäftigung vor.

Das SG Dresden schließt sich der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 13. März 2023 – B 12 R 4/21 R –, Rn. 16 bis 19, juris, m. w. N.) an, nach welcher der durch das Handelsregister vermittelte Verkehrsschutz auch für die Beurteilung der Gesellschaft durch die Sozialversicherungsträger gilt.

Auch die Mitteilung von Änderungen an den Gesellschaftsanteilen durch den Steuerberater der Klägerin gegenüber einem Träger der Rentenversicherung kann hieran nichts ändern, zumal sich das Schreiben des Steuerberaters vom 15.5.2019 ohnehin nur auf den Anteil eines Geschäftsführers bezog.

Ferner können Arbeitgeber aus beanstandungsfreien Betriebsprüfungen in der Regel keine Rechte herleiten (vgl. BSG, Urteil vom 19. September 2019 – B 12 R 25/18 R –, Rn. 30 ff., juris, m. w. N.), weil Betriebsprüfungen nur den Zweck haben, die Beitragsentrichtung im Interesse der Versicherungsträger und der Versicherten sicherzustellen. Ihnen kann keine Entlastungswirkung für den Arbeitgeber zukommen, weil sie nicht umfassend oder erschöpfend sein müssen und sich auf bestimmte Einzelfälle oder Stichproben beschränken dürfen (vgl. § 11 Beitragsverfahrensverordnung). Bei einer praxisorientierten, der Eigenart einer Massenverwaltung im Bereich der Sozialversicherung gerecht werdenden Betrachtungsweise kann nicht darauf geschlossen werden, dass die gesamte Praxis der Meldungen und Beitragszahlung eines Arbeitgebers in Bezug auf sämtliche Betriebsangehörigen unter allen denkbaren Aspekten behördlicherseits für „in Ordnung“ befunden wurde. Betriebsprüfungen – ebenso wie das Ergebnis der Prüfung festhaltende Prüfberichte der Versicherungsträger – bezwecken nämlich insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm etwa mit Außenwirkung „Entlastung“ zu erteilen (BSG, Urteil vom 18. November 2015 – B 12 R 7/14 R –, Rn. 20, juris).

Praxishinweis | SG Dresden S 45 BA 49/22

Die Leitlinien des BSG werden vom SG Dresden in dieser Entscheidung konsequent eingehalten und sollten daher auch in der Praxis zunehmend berücksichtigt werden. Zentral ist laut dieser Entscheidung für die Geschäftsführer einer GmbH zu beachten, dass bei einer Beteiligung von weniger als 50 % an der Gesellschaft eine abhängige Beschäftigung vorliegt, was verschiedene Auswirkungen haben kann. Zudem zeigt das SG Dresden die Bedeutung des Handelsregisters für die Beurteilung der Beschäftigungsverhältnisse durch die Sozialversicherungsträger auf. Auch unterstreicht sein Urteil, dass der Einsatz von Betriebsprüfungen und Mitteilungen von Steuerberatern an dieser rechtlichen Bewertung nichts ändern.