OLG Hamm 8 U 177/22
Auslegung einer gesellschaftsvertraglichen Vinkulierungsklausel einer Familiengesellschaft bei mittelbarer Anteilsübertragung auf eine familienfremde Person

22.05.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Hamm
19.06.2023
8 U 177/22
GmbHR 2023, 1325 ff.

Leitsatz | OLG Hamm 8 U 177/22

  1. Ist nach dem Gesellschaftsvertrag einer GmbH & Co. KG die Übertragung von Kommanditanteilen auf Abkömmlinge eines Kommanditisten ohne besondere Zustimmung möglich, so hängt die Zulässigkeit der Anteilsübertragung auf eine von Abkömmlingen gegründete oder erworbene Vorratsgesellschaft vom Inhalt und der Auslegung des Gesellschaftsvertrags ab.
  2. Der Vollzug einer nach Gesellschaftsvertrag unzulässigen Übertragung der Kommanditanteile auf eine Vorratsgesellschaft kann im Wege einer einstweiligen Verfügung untersagt werden.

Sachverhalt | OLG Hamm 8 U 177/22

Die Verfügungsklägerin ist eine deutsche Kommanditgesellschaft, an der Familienmitglieder bzw. die Abkömmlinge von EP und OC (Y. Stamm) beteiligt sind. Die Verfügungsbeklagte ist eine nicht gemeinnützige Familienstiftung, hinter der die Familienmitglieder bzw. Abkömmlinge von SP (R. Stamm) stehen. Beide Parteien sind an der P.A. GmbH & Co. KG (P.A.) beteiligt. Die P.A. hält 99,9% an der P. Holding GmbH (P. Holding), welche als Holdinggesellschaft für sämtliche operative Gesellschaften der P. Gruppe operiert. Im Gesellschaftsvertrag sind u.a. folgende Regelungen getroffen worden: Jegliche Verfügungen über den Anteil, so auch Veräußerung und Abtretung oder sonstige Belastungen bedürfen zu ihrer Wirksamkeit die Zustimmung der Gesellschafter durch Beschluss. Eine Zustimmung ist nicht erforderlich, wenn es zu Gunsten eines Ehegatten oder einer nachfolgeberechtigten Person erfolgt. Nachfolgeberechtigt sind die Abkömmlinge des betroffenen Gesellschafters, ferner Gesellschaften, an denen mehrheitlich Personen aus dem R. oder Y Stamm beteiligt sind, sowie deren Stiftungen. Außerdem kann ein Gesellschafter durch Beschluss mit einer Mehrheit von über 60% der übrigen Gesellschafter aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn Anteile an nicht nachfolgeberechtigte Personen übergehen.

Hintergrund des Streits waren erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen den Familienstämmen über die gemeinsame Führung der P. Gruppe, weshalb der R. Stamm ausscheiden möchte. Im Juli 2022 trafen die VB und die Mitglieder des R Stammes eine Rahmenvereinbarung mit der K.N. S.à.r.l. (K.), einer Gesellschaft der K-Gruppe, die eine mittelbare Beteiligung an der P.A. GmbH & Co. KG erwerben soll. Der Rahmenvertrag sieht eine mehrschichtige Transaktion in drei Erwerbsphasen vor, wobei zunächst die Anteile an eine Vorratsgesellschaft übertragen werden und anschließend Anteile an der Vorratsgesellschaft auf K. übergehen.

Auf Antrag der Verfügungsklägerin erließ das LG Hagen am 08.11.2022 eine einstweilige Verfügung, die es der Antragsgegnerin untersagt, jegliche Vereinbarungen mit der K-Gruppe hinsichtlich der Anteilsübertragung zu vollziehen. Die VB habe ohne Kenntnis und gegen den Willen der VK eine Vereinbarung getroffen, die gegen die Vinkulierung im Gesellschaftsvertrag verstoße. Die P.A. sei als Familiengesellschaft konzipiert, die auch mittelbare Übertragung an Dritte ausschließe. Die VB legte daraufhin Widerspruch ein, der erfolglos blieb. Mit Urteil vom 7.12.2022 wurde die einstweilige Verfügung durch das LG Hagen bestätigt. Die Rahmenvereinbarung zwischen dem R. Stamm und K. bedeute eine unzulässige Umgehung bzw. einen Verstoß gegen den Gesellschaftsvertrag. Die Vinkulierungsklausel sei bei der gebotenen Auslegung dazu bestimmt, auch einen mittelbaren Gesellschafterwechsel zu verhindern. Hiergegen legt die VB Berufung ein und beantragt die Aufhebung der einstweiligen Verfügung.

Entscheidung | OLG Hamm 8 U 177/22

Die Berufung gilt als zulässig, jedoch nicht begründet. Das LG Hagen hat damit die einstweilige Verfügung vom 8.11.2022 bestätigt. Der einstweilige Verfügungsantrag der VK ist gem. §§ 935, 940 ZPO zulässig. Er ist auch begründet, denn die VK hat einen Anspruch auf Untersagung der Vollziehung des Rahmenvertrages zwischen der VB und K. aus § 241 I 2 BGB, den sie im Wege der einstweiligen Verfügung sichern kann.

Die Klägerin ist aktiv- und die Beklagte passivlegitimiert. Es handelt sich um einen Streit über das Gesellschaftsverhältnis selbst, der unter den Gesellschaftern auszutragen ist. Der Anspruch auf Unterlassung (gesellschafts-) vertragswidriger Handlungen ist ein Individualanspruch des einzelnen Gesellschafters, so dass dieser den vermeintlich vertragswidrig handelnden (Mit)Gesellschafter im Klageweg auf Einhaltung des Gesellschaftsvertrages in Anspruch nehmen kann. Zur Sicherheit dieses Anspruchs kommt auch eine einstweilige Verfügung in Betracht. Der Gesellschaftsvertrag enthält keine abweichenden Regelungen.

Die Verfügungsklägerin hat einen Anspruch auf Unterlassung der Durchführung des Rahmenvertrages, denn die Verfügungsbeklagte verstieß durch den Abschluss dieses Vertrages gegen ihre Pflichten aus dem Gesellschaftsvertrag, namentlich die Regelungen über die Veräußerung und Abtretung der Anteile. Die vorgesehene Transaktion verstößt gegen die Vinkulierungsklausel, die nach Auslegung des Gesellschaftsvertrages die beabsichtigte Einräumung einer mittelbaren Beteiligung zugunsten eines familienfremden Finanzinvestors erfasst. Die Auslegung richtet sich dabei nach den §§ 133,157 BGB. Bei Personengesellschaften mit einem überschaubaren und untereinander verbundenen Kreis von Gesellschaftern und bei denen personale Elemente strukturbestimmend sind, gilt dabei der Grundsatz einer subjektiven Auslegung. Das individuelle Verständnis der hier streitenden Gründungsgesellschafter ist maßgeblich bei der Auslegung. Neben dem Wortlaut werden auch Entstehungsgeschichte, Systematik, Sinn und Zweck des Vertrags sowie auch die Interessen der Beteiligten berücksichtigt. Im Zweifel wird eine Vertragsnorm derart ausgelegt, dass sie einer tatsächlichen, rechtserhebliche Bedeutung hat und innere Widersprüche vermeidet.

Die Auslegung führt zu dem Ergebnis, dass die Gesellschafter aufgrund der gesellschafterlichen Treuepflicht schuldrechtlich verpflichtet sind, Maßnahmen zu unterlassen, die den geregelten Vinkulierungszweck gefährden. Dies umfasst auch die mittelbare Beteiligung an der P.A., auch wenn es nicht explizit erwähnt wird. Die Regelung ist so weitreichend formuliert, dass sie auch Rechtsgeschäfte und Maßnahmen erfasst, die einer Veräußerung oder Belastung gleichkommen. Ein wirksam geschlossenes Kausalgeschäft muss von den Mitgesellschaftern nicht toleriert werden; allein ein solcher Vertragsschluss kann bereits eine Verletzung der Pflichten aus dem Gesellschaftsvertrag darstellen. Daher ist ein schuldrechtliches Verbot aus dem Gesellschaftsvertrag ausreichend, um einen Unterlassungsanspruch der VK zu begründen.

Auch eine vorgesehene Ausnahme greift nicht, da der Rahmenvertrag zu einem mittelbaren Kontrollwechsel führt. Dies widerspricht dem Zweck der Vinkulierungsklausel, familienfremden Dritten bestimmenden Einfluss auf die Gesellschaft zu verhindern. Die Anteilsveräußerung an Gesellschafter- Gesellschaften, deren alleiniger Zweck sich im Halten der vinkulierten Anteile erschöpft, kommt einer Anteilsveräußerung wirtschaftlich gleich.

Auch eine systematische Betrachtung der Regelungen im Gesellschaftsvertrag der P.A. sowie der P. Holding stehen dieser Einschätzung nicht entgegen. Sie belegen, dass die Gesellschafter eine sog. closed shop- Strategie verflogen. Gesellschafter sind, mit Ausnahme der Komplementärin, ausschließlich Familienmitglieder und sollen es auch bleiben. Ein Beitritt ist nur als Abkömmling der Gründungsgesellschafter möglich. Auch eine Kündigung löst ein Ankaufsrecht der übrigen Gesellschafter aus und ist nur unter bestimmten Bedingungen und langen Fristen möglich. Die Interpretation der VB, es bestünden exklusive Sonderregelungen für den Fall einer mittelbaren Beteiligung, sind nicht standhaft. Vielmehr ergänzen sich die Regelungen und verhindern Fremdeinwirkung in jeglicher Hinsicht. Im Ergebnis zeigen die Gesellschaftsverträge, dass die Gesellschafter die Möglichkeit haben, verschiedene Instrumente einzusetzen, um bereits im Falle einer Veräußerungsabsicht, eine Lösung zu finden, bevor im letzten Schritt drastische Maßnahmen, wie die Ausschließung eines Gesellschafters ergriffen werden. Dies dient dazu, das Interesse der Gesellschaft an der Vermeidung eines Kontrollverlusts zu wahren und den unerwünschten Einfluss von Dritten fernzuhalten.

Die Auslegung und die Reichweite der Vinkulierungsklausel hängen stark von der Realstruktur der Gesellschaft ab. Insbesondere bei Familiengesellschaften ist die Grundtendenz des Vertrags maßgeblich, sodass eine closed shop- Strategie anzunehmen ist, die darauf abzielt, die Gesellschaft nicht für familienfremde Dritte zu öffnen. Die P.A. zeigt dabei typische, in der Literatur beschriebene, Merkmale einer Familiengesellschaft, wie die interne Organisationsverfassung durch Stammesregelungen und die Vorkehrungen zur Wahrung der Beteiligung verschiedener Familienstämme. Auch die P. Holding verfügt über ein Beiratsmodell, das für Familienunternehmen typisch ist. Die Selbstfinanzierung und die Regelungen zur Reduzierung von Abfindungsansprüchen unterstreichen die Bedeutung der finanziellen Stabilität und des Wachstums des gemeinsamen Unternehmens. Obwohl es immer Herausforderungen zwischen Gesellschaftern geben kann, bleibt die P.A. eine Familiengesellschaft und die bestehenden Strukturprinzipien behalten ihre Gültigkeit.

Neben dem Verfügungsanspruch wurde auch ein Verfügungsgrund nach §§ 935, 940, 920 II, 936 ZPO glaubhaft gemacht. Dies setzt eine Eilbedürftigkeit voraus, die nicht schon aufgrund bloßer abstrakter Erwägungen angenommen werden kann, sondern konkret im Einzelfall begründet werden muss. Es besteht für die VK das Risiko eines endgültigen Rechtsverlustes, wenn der VB die Vollziehung des Rahmenvertrages mit K. nicht untersagt wird.

Zuletzt wurde entschieden, dass die Bestätigung der einstweiligen Verfügung nicht von einer Sicherheitsleistung (Vollziehungssicherheit) abhängig gemacht wird, §§ 925 II, 921 2 ZPO. Die Abhängigkeit des Erlasses einer einstweiligen Verfügung von einer Sicherheitsleistung ist vor allem dann gerechtfertigt, wenn die Vermögensverhältnisse des Gläubigers so gestaltet sind, dass etwaige Schadensersatzansprüche des Gegners gefährdet sind. Außerdem kommt die Anordnung einer Sicherheitsleistung bei zweifelhafter Rechtslage oder nur mühsam gelungener Glaubhaftmachung in Betracht. Die Höhe wird regelmäßig so bemessen, dass jeder eventuelle Schaden gedeckt ist.

Praxishinweis | OLG Hamm 8 U 177/22

Grundsätzlich ist der Gesellschaftsanteil an einer Kommanditgesellschaft nicht frei übertragbar, d.h. die Vinkulierung ist der gesetzliche Regelfall. Dies folgt aus der grundsätzlichen Unübertragbarkeit der Gesellschafterstellung als Ausdruck des höchstpersönlichen Charakters des Zusammenschlusses von Personengesellschaften. Die Vinkulierung hat dingliche Wirkung und führt zur Unwirksamkeit einer abredewidrigen Übertragung. Demgegenüber ist die schuldrechtliche Vereinbarung, mit der sich ein Gesellschafter zur Übertragung verpflichtet, zustimmungsfrei möglich. Eine Übertragung der Anteile an einen Mitgesellschafter oder Nichtgesellschafter ändert den Gesellschafterkreis, ist demnach ein Grundlagengeschäft und setzt die Zulassung im Gesellschaftsvertrag oder die Zustimmung der Mitgesellschafter voraus.