OLG Brandenburg 3 W 71/22
Güterrechtsstatut für ein deutsch-kubanisches Ehepaar bei enger Verbindung mit Kuba

19.06.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Brandenburg
26.01.2023
3 W 71/22
RNotZ 2024, 185

Leitsatz | OLG Brandenburg 3 W 71/22

  1. Der gewöhnliche Aufenthalt nach Art. 21 Abs. 1 EuErbVO ist im Sinne eines Daseinsmittelpunkts bzw. eines Mittelpunkts des Lebensinteresses zu verstehen, für dessen Ermittlung eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt des Todes erforderlich ist.
  2. War der Erblasser Angehöriger eines Staates oder hatte er alle seine wesentlichen Vermögensgegenstände in diesem Staat, so kann für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts seine Staatsangehörigkeit oder der Ort, an dem diese Vermögensgegenstände sich befinden, ein besonderer Faktor bei der Gesamtbeurteilung aller tatsächlichen Umstände sein, auch wenn sich der Erblasser etwa aus beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen  in einen anderen Staat begeben hat, um dort zu arbeiten, aber eine enge und feste Bindung zu seinem Herkunftsstaat aufrechterhalten hat.
  3. Bei der Beurteilung, mit welchem Land die Ehegatten bei Eheschließung am engsten verbunden waren, sind sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Außer den gemeinsamen sozialen Bindungen der Ehegatten an einen Staat durch Herkunft, Sprache, Kultur, Religion und berufliche Tätigkeit kommt vor allem dem Ort der Eheschließung, sofern er nicht ganz zufällig gewählt ist, und den objektiv feststellbaren gemeinsamen Zukunftsplänen der Ehegatten sowie ein gemeinsamer schlichter Aufenthalt, sofern dieser nicht nur von ganz vorübergehender Natur ist, wesentliche Bedeutung zu.

Sachverhalt | OLG Brandenburg 3 W 71/22

Der Antragsteller (Ast.) und der Beteiligte zu 3 (B 3) sind die einzigen Kinder des Verstorbenen (E). Die Beschwerdeführerin (B 1) war seit dem 10.10.2010 bis zu dessen Tod mit E verheiratet. E war deutscher Staatsangehöriger, B 1 ist Kubanerin.

Der Ast. beantragt die Erteilung eines Erbscheins, der ihn und B 3 als Erben zu je 3/8 und B 1 als Erbin zu 1/4 ausweist. Er argumentiert, dass das eheliche Güterrecht gemäß den Regeln in Art. 14, 15, Art. 229 § 47 Abs. 1, 2 EGBGB nach kubanischem Recht bestimmt werde, wodurch § 1371 BGB nicht anwendbar sei. Auch § 1931 Abs. 4 BGB sei nicht entsprechend anwendbar, da die Ehe ausschließlich auf Kuba gelebt wurde und kein Umzug nach Deutschland beabsichtigt war.

B 1 argumentiert hingegen, sie sei Erbin zu 1/2, da deutsches Ehegüterrecht und damit §§ 1931 Abs. 3, 1371 Abs. 1 BGB Anwendung fänden. Sie meint, die Ehegatten seien am engsten mit Deutschland verbunden gewesen, da sie sich nach der Eheschließung in Deutschland niederlassen wollten. Dies sei jedoch nicht erfolgt, da ihre minderjährige Tochter und später ihre kranken Eltern in Kuba betreut werden mussten.

Das AG stellte fest, dass nach § 21 Abs. 1 EuErbVO deutsches Erbrecht gelte, weil E zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte. Nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB würden die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe nach dem Recht des Staates bestimmt, in dem beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten oder dem sie angehörten. In diesem Fall sei das kubanische Recht maßgeblich, da keine Rechtswahl vorgenommen wurde und die Ehe auf Kuba gelebt wurde.

B 1 macht geltend, dass die Entscheidung des AG auf einem Widerspruch beruhe: Für die Rechtsnachfolge gelte deutsches Recht wegen des gewöhnlichen Aufenthalts von E in Deutschland, während für das Güterrecht kubanisches Recht herangezogen werde, weil die Ehe enger mit Kuba verbunden sei.

Das AG hat die Sache dem Senat vorgelegt. Der Ast. verteidigt den Beschluss des AG und meint, die Beschwerde sei unzulässig, da B 1 keinen Erbscheinsantrag gestellt habe, sondern nur die Abänderung des bestehenden Antrags begehre. Außerdem sei die Beschwerde unbegründet.

Entscheidung | OLG Brandenburg 3 W 71/22

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Insbesondere ist die Beschwerde unbegründet, da die im angefochtenen Beschluss festgelegten Erbquoten richtig sind. Nach Art. 21 Abs. 1 EuErbVO ist deutsches Erbrecht anwendbar, da der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte.

Das eheliche Güterrecht richtete sich nach kubanischem Recht, da die Ehegatten bei Eheschließung am engsten mit Kuba verbunden waren. Die Errungenschaftsgemeinschaft nach kubanischem Recht kann nicht der Zugewinngemeinschaft nach deutschem Recht gleichgestellt werden, da wesentliche normprägende Merkmale fehlen.

Insgesamt ergibt sich kein Wertungswiderspruch aus der Anwendbarkeit deutschen Erbrechts und kubanischen Güterrechts, und es liegt kein Verstoß gegen den ordre public vor.

Praxishinweis | OLG Brandenburg 3 W 71/22

Zunächst ist festzuhalten, dass der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts regelmäßig mindestens einen sechsmonatigen Aufenthalt im betreffenden Staat erfordert (Hertel in BeckOGK, 3/2020, EGBGB Art. 14 Rn. 94). Auf Urlaubsreisen, seien sie auch zweimal jährlich mit einem für 3 Monate gültigen Touristenvisum und maximal 6 Monate andauern, dürfte dies eher nicht zutreffen.

Zudem bestätigt das Gericht die bisherige Tendenz der Rechtsprechung, dass bei der Beurteilung, mit welchem Land die Ehegatten bei Eheschließung am engsten verbunden waren, sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Außer den gemeinsamen sozialen Bindungen der Ehegatten an einen Staat durch Herkunft, Sprache, Kultur, Religion und berufliche Tätigkeit kommt vor allem dem Ort der Eheschließung, sofern er nicht ganz zufällig gewählt ist, und den objektiv feststellbaren gemeinsamen Zukunftsplänen der Ehegatten (insbes. der bei Eheschließung bereits in Aussicht genommenen Begründung eines gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts in einem bestimmten Staat) sowie ein gemeinsamer schlichter Aufenthalt, sofern dieser nicht nur von ganz vorübergehender Natur ist, wesentliche Bedeutung zu (Henrich in Staudinger, BGB, 2010, EGBGB Art. 14 Rn. 67; Hausmann, Internat. u. Europ. Familienrecht, 2. Aufl., Kap. B. Rn. 416; Looschelders in MüKoBGB, 8. Aufl., EGBGB Art. 14 Rn. 125; Mörsdorf in BeckOK BGB, 11/2022, EGBGB Art. 14 Rn. 43).

Ob Eheleute für die fernere Zukunft einen Wechsel des gemeinsamen Aufenthalts nach Deutschland ins Auge gefasst haben, ist dagegen für die Bewertung dieser Problematik belanglos (OLG Köln v. 15.4.2015 – 4 WF 169/14, BeckRS 2015, 16000 Rn. 6).

Ferner ist im Hinblick auf die internatinae Rechtsvergleichung festzuhalten, dass die kubanischen Errungenschaftsgemeinschaft nicht gleichwertig mit der deutschen Zugewinngemeinschaft ist. Des Weiteren kann der Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft nach kubanischem Recht nicht im Wege der Substitution dem Güterstand der Zugewinngemeinschaft gleichgestellt werden. Nach dem Grundsatz der Substitution können zwar Erscheinungen unter einem fremden Recht den Figuren deutschen Rechts dann gleichgestellt werden, wenn sie funktional gleichwertig sind, was eine Übereinstimmung in den wesentlichen normprägenden Merkmalen voraussetzt (OLG Hamm ZEV 2019, 343 Rn. 30). Grund für die Ablehnung der Rechtsfrage ist aber, dass es beim gesetzlichen Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft nach kubanischem Recht an einer erbrechtlichen Lösung für den Fall der Auflösung der Ehe durch den Tod eines Ehepartners mangelt. Nach zutreffender hM ist dies aber ein normprägendes Merkmal der Zugewinngemeinschaft deutschen Rechts (BGH v. 13.5.2015 – IV ZB 30/14, ZEV 2015, 409 mAnm Reimann, Rn. 33; OLG Hamm ZEV 2019, 343 Rn. 31). Güterstände der Errungenschaftsgemeinschaft sind außerdem auch deshalb nicht funktional äquivalent, weil sie im Todesfall eines Ehegatten dazu führen würden, dass dem überlebenden Partner neben der vollen güterrechtlichen Beteiligung am Gesamtgut auch noch die Erhöhung seines gesetzlichen Erbteils um ein Viertel nach deutschem Erbrecht zu Gute käme (Hausmann/Odersky, Internat. Privatrecht in der Notar- u. Gestaltungspraxis, 4. Aufl., 1. Teil § 3 Rn. 94a).
Außerdem besteht laut dem OLG Brandenburg kein Wertungswiderspruch bei Anwendung deutschen Erbrechts und kubanischen Güterstandsrechts. Zuletzt ist in der Praxis darauf hinzuweisen, dass Verstöße gegen den ordre public selten sind und bleiben sollen, was mit der großzügigen Vertragsfreiheit im Ehegüterrecht begründet wird. Mithin bedeutet die eheliche Güterrechtslösung nach kubanischem Recht auch keinen Verstoß gegen den ordre public Vorbehalt (ZEV 2023, 522 Rn. 31, beck-online).