FG Köln 7 K 217/21
Mögliche Unionsrechtswidrigkeit der unterschiedlichen Besteuerung von Familienstiftungen im In- und Ausland

27.06.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

FG Köln
30.11.2023
7 K 217/21
IStR 2024, 317

Leitsatz | FG Köln 7 K 217/21

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) vom 2. Mai 1992 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung eines Mitgliedstaats über die Erhebung der Erbschaft- und Schenkungsteuer entgegensteht, die für die Besteuerung des Übergangs von Vermögen auf Grund eines Stiftungsgeschäfts unter Lebenden an eine ausländische Stiftung auch dann die höchste Steuerklasse III zugrunde legt, wenn die Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien errichtet ist (Familienstiftung), während sich im entsprechenden Fall bei einer inländischen Familienstiftung die Steuerklasse nach dem Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zu dem Schenker (Stifter) richtet, was bei der inländischen Familienstiftung zur Anwendung der günstigeren Steuerklassen I oder II führt.

 

Sachverhalt | FG Köln 7 K 217/21

Die Klägerin ist eine Familienstiftung in Fürstentum Liechtenstein und wurde im Jahr 2014 von der in Deutschland wohnenden Stifterin mit Stiftungsvermögen ausgestattet. Der Zweck der Stiftung ist die Förderung und Unterstützung der gemeinsamen Abkömmlinge der Stifterin und ihres verstorbenen Ehegatten, Ermessensbegünstigte der Stiftung sind die Stifterin sowie die mit der Stifterin in gerade absteigender Linie verwandten Abkömmlinge. Die Klägerin reichte eine Schenkungsteuererklärung beim beklagten FA ein, berief sich auf das „Steuerklassenprivileg“ gemäß § 15 Abs. 2 ErbStG und argumentierte, dass der in der Vorschrift enthaltene Vorbehalt der Errichtung der Familienstiftung „im Inland“ wegen eines nicht zu rechtfertigenden Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 40 EWR-Abkommen unbeachtlich sei. Das beklagte FA berücksichtigte das Verwandtschaftsverhältnis der Begünstigten zu der Stifterin nicht und legte einen steuerpflichtigen Erwerb zugrunde. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, welchen das FA zurückwies. Die Klägerin verfolgt mit ihrer Klage das Begehren, das Steuerklassenprivileg des § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG unmittelbar auf sie anzuwenden.

Entscheidung | FG Köln 7 K 217/21

Der Senat hat Zweifel, ob es mit Art. 40 EWR-Abkommen vereinbar ist, dass bei der Errichtung einer Familienstiftung im Ausland stets die höchste Steuerklasse III zugrunde gelegt wird, während sich im entsprechenden Fall bei einer inländischen Familienstiftung die Steuerklasse nach dem Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zu dem Schenker (Stifter) richtet, was bei der inländischen Familienstiftung zur Anwendung der günstigeren Steuerklassen I oder II führt.

Nach nationalem Recht wäre der Erbschaftsteuerbescheid rechtmäßig, da die Klägerin als nach liechtensteinischem Recht gegründete liechtensteinische Stiftung nicht im Inland errichtet wurde und somit das sog. Steuerklassenprivileg nach § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG nicht zur Anwendung kommt. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 24 Abs. 1 DBA-L, welches eine Schlechterbehandlung von Ausländern gegenüber Staatsangehörigen unter gleichen Verhältnissen untersagt, da das Diskriminierungsverbot von der grundsätzlich zulässigen steuerlichen Differenzierung nach der Ansässigkeit zu unterscheiden ist.

Möglicherweise kann sich die Klägerin jedoch mit Erfolg unmittelbar auf die aus Art. 40 EWR-Abkommen gewährleistete Kapitalverkehrsfreiheit berufen. Art. 40 EWR-Abkommen bestimmt hinsichtlich der Kapitalverkehrsfreiheit, dass der Kapitalverkehr keinen Beschränkungen und keiner Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnortes der Parteien oder des Anlageortes unterliegen darf, wobei nach dem EuGH auch die steuerliche Behandlung von Schenkungen und Stiftungen in den Schutzbereich einbezogen sind. Nach Art. 6 EWR-Abkommen legt der EuGH die Grundfreiheiten des EWR-Abkommens und die in der europäischen Union geltenden Grundfreiheiten parallel aus. Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs haben demnach dieselbe rechtliche Tragweite wie die Bestimmungen des Art. 63 AEUV.
Art. 63 Abs. 1 AEUV verbietet Maßnahmen, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die in diesem Mitgliedstaat Ansässigen von Investitionen in anderen Staaten abzuhalten, was bei einer Wertminderung der Schenkung durch Besteuerung vorliegt. Innerstaatliche Schenkungsvorschriften stehen der Kapitalverkehrsfreiheit daher immer dann entgegen, wenn Auslandsvermögen ungünstiger bzw. höher bewertet wird als Inlandsvermögen. § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG eröffnet einen Anspruch auf eine ermäßigte Besteuerung bei Errichtung einer im Inland ansässigen Familienstiftung durch einen Inländer, was zur Folge hat, dass eine inländische Stiftung gegenüber Stiftungen mit Sitz im Ausland – unter im Übrigen gleichen Bedingungen – dauerhaft über höhere finanzielle Mittel verfügt. Dieser Liquiditätsnachteil stellt eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit dar.

Der Senat hat Zweifel, ob diese Beschränkung gerechtfertigt sein kann. Die Ausnahme nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV, wonach Mitgliedstaaten das Recht haben, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden und Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich zu behandeln, ist eng auszulegen. Die nationalen Vorschriften dürfen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs darstellen. Eine nationale Steuerregelung ist nur dann mit den Bestimmungen des AEU-Vertrags über den freien Kapitalverkehr vereinbar, wenn die sich aus ihr ergebende Ungleichbehandlung entweder Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, wobei u.a. die Notwendigkeit, die Kohärenz des Steuersystems zu gewährleisten, anerkannt ist. Diese Argumentation hat jedoch nur dann Erfolg, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung besteht, wobei die Unmittelbarkeit dieses Zusammenhangs im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel beurteilt werden muss. Der EuGH hat die Notwendigkeit, die Kohärenz des Steuersystems zu gewährleisten, anerkannt, wenn die Ausgestaltung der betreffenden Steuerreglungen einer spiegelbildlichen Logik folgt. Darüber hinaus muss die nationale Regelung geeignet sein, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten und darf nicht über das hierfür Erforderliche hinausgehen. Auch wenn der Senat der Auffassung ist, dass ein Zusammenhang zwischen des Steuerklassenprivilegs und der Ersatzerbschaftssteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG besteht, hat er Zweifel daran, ob dies für die geforderte Kohärenz ausreicht.

Praxishinweis | FG Köln 7 K 217/21

Die Klärung der vorliegenden Rechtsfrage durch den EuGH könnte die nationale Gesetzgebung und Verwaltungspraxis beeinflussen, wenn sich eine Unvereinbarkeit mit der unionsrechtlichen Kapitalverkehrsfreiheit herausstellt. Die Entscheidung wird die Rechtssicherheit für Familienstiftungen mit grenzüberschreitendem Bezug erhöhen.