BGH VIII ZR 164/21
Pflicht des Verkäufers zur Rücknahme einer mangelhaften Kaufsache nach Rücktritt des Käufers

17.05.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
29.11.2023
VIII ZR 164/21
IBR 2024, 148 f. = MDR 2024, 270

Leitsatz | BGH VIII ZR 164/21

Die Weigerung des Verkäufers, nach dem Rücktritt des Käufers vom Kaufvertrag die vom Käufer zum Zwecke der Rückgewähr in Natur gemäß § 346 Abs. 1 BGB angebotene mangelhafte Kaufsache zurückzunehmen, kann jedenfalls unter den besonderen Umständen des Einzelfalls (hier: Arsenbelastung großer Mengen vom Verkäufer gelieferten Recycling-Schotters) als Verletzung von Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) im Rückgewährschuldverhältnis anzusehen sein, die zu einem Schadensersatzanspruch des Käufers gegen den Verkäufer gemäß § 280 Abs. 1 BGB führen kann.

Sachverhalt | BGH VIII ZR 164/21

Das von der Klägerin betriebene Bauunternehmen bestellte bei der beklagten Baustoffhändlerin knapp 22.500 Tonnen Recycling-Schotter zur Errichtung eines Park- und Containerverladeplatzes zu einem Kaufpreis von ca. 155.000 €. Nach einigen Jahren stellte die Bauherrin fest, dass dieser Schotter mit einem nicht tolerierbaren Wert an Arsen belastet war. Das Bauunternehmen wurde folglich von der Bauherrin und der Grundstückseigentümerin in Anspruch gesetzt, diese wiederum nahm die Beklagte gerichtlich in Anspruch. Das Bauunternehmen trat hierzu vom Vertrag mit der Baustoffhändlerin zurück und forderte die Rückzahlung des Kaufpreises, sowie die Abholung des mangelhaften Schotters. Die Händlerin kam der zweiten Aufforderung jedoch nicht nach, sodass das Bauunternehmen unter anderem auf Ersatz der Kosten, die durch den Ausbau und die Entsorgung des Schotters sowie den Einbau neuen Schotters angefallen waren, klagte. Die Klage wurde erst- und zweitinstanzlich abgewiesen, mit der Ansicht des OLG, ein Schadensersatzanspruch lasse sich nicht damit begründen, die Baustoffhändlerin habe schuldhaft eine Rücksichtnahmepflicht im Rückgewährschuldverhältnis verletzt. Die Wirkung des Rücktritts gebe der Verkäuferin nur einen Anspruch auf Rückgewähr der Kaufsache, verpflichte ihn jedoch nicht, diese zwingend zurückzunehmen.

Entscheidung | BGH VIII ZR 164/21

Die Revision des klagenden Bauunternehmens hatte Erfolg. Die umstrittene Frage, ob der Verkäufer verpflichtet ist die Kaufsache zurückzunehmen, blieb jedoch offen. Darauf komme es gar nicht an, denn in der Weigerung der Verkäuferin, trotz eines wirksamen Vertragsrücktritt, die mangelhafte Sache zurückzunehmen, könne aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls (vorliegend die Arsenbelastung großer Mengen an Schotter) eine Verletzung von Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB im Rückgewährschuldverhältnis liegen.

Die Vorschriften des § 346 Abs. 1 BGB verpflichten den Verkäufer nicht zur Rücknahme der Sache, sondern geben ihm den Anspruch auf Rückgewähr. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts (BauVtrRRefG) am 1. Januar 2018 bestand ein Anspruch auf Ersatz von Einbau-, Ausbau- und Transportkosten für eine mangelhafte Sache nur, wenn der Verkäufer die Verletzung seiner Pflicht zu vertreten hatte. Dies ist vorliegend der Fall. Die Händlerin hätte im Zeitpunkt der Lieferung die Beschaffenheit der Kaufsache bei Anwendung der verkehrsüblichen Sorgfalt erkennen können, indem sie die Güte des Materials vorher überprüft hätte.

Des Weiteren bestünden Rücksichtnahmepflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB auch im Rückgewährschuldverhältnis nach den §§ 346 ff. BGB, die durch die Weigerung der Mitnahme des Schotters unter den besonderen Umständen des Einzelfalls verletzt wurden. Danach kann jede Vertragspartei zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der anderen Partei verpflichtet werden. Bei fehlender Absprache, ist es je nach konkreter Situation unter Bewertung und Abwägung beiderseitiger Interessen zu bestimmen. Insbesondere hat sich jede Vertragspartei so zu verhalten, dass Person, Eigentum und sonstige Rechtsgüter, so auch bloße Vermögensinteressen, des jeweils anderen Teils nicht verletzt werden. Dieses sogenannte Erhaltungs- und Integritätsinteresse beruht auf den besonderen Einwirkungsmöglichkeiten der einen Partei auf die Interessensphäre der anderen. Bereits der weitere Verbleib der Sache beim Käufer und die damit verbundene Verantwortlichkeit können ihn erheblich belasten, insbesondere dann, wenn er sie entsorgen müsste. Laut BGH liegt regelmäßig dann ein Verstoß des Verkäufers gegen seine Rücksichtnahmepflicht vor, wenn die im Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten (u.a. Verwendungs- und Aufwendungsersatz nach § 347 Abs. 2 BGB, sowie Annahmeverzugsfolgen) den Käufer nicht ausreichend schützen und dieser die Sache nicht zurücknimmt, obwohl ihm die besondere Belastung des Käufers erkennbar ist.

Die Rücknahme sei dem Verkäufer weiterhin auch zumutbar gewesen, denn allein die Rücknahme der Kaufsache könne vorliegend eine Verletzung des Integritätsinteresses des Käufers verhindern, weshalb das Interesse des Verkäufers, nicht belastet zu werden, nach Treu und Glauben, sowie Zweck des Rückgewährschuldverhältnisses zurückstehen müsse. Schließlich ist nach der gesetzgeberischen Bewertung des Mängelgewährleistungsrecht gem. §§ 437 ff. BGB in Verbindung mit den Vorschriften des Rücktritts gem. §§ 346 ff. BGB die Kaufsache, einschließlich der mit ihr verbundenen wirtschaftlichen Belastung, endgültig wieder dem Verkäufer zugewiesen worden.

Praxishinweis | BGH VIII ZR 164/21

Mit der Reform des Baurechts 2018 traten einige Änderungen des BGB zur Anpassung der kaufrechtlichen Mängelhaftung an die Rechtsprechung des EuGH und BGH in Kraft. Gegenstand dieser Reform ist insbesondere die Neuregelung zu den sogenannten Einbaufällen, wobei die Hauptkosten regelmäßig durch den Ein- bzw. Ausbau der mangelhaften Sache entstehen. Nun sind auch diese Kosten Teil der gesetzlichen Nacherfüllungspflicht aus § 439 Abs. 3 Satz 1 BGB und der Verkäufer muss die erforderlichen Aufwendungen für das Entfernen der mangelhaften und den Einbau der nachgebesserten mangelfreien Sache ersetzen. Dies gilt sowohl für Verbraucher als auch Unternehmer. Daneben kann eine Rücknahmeverweigerung nach Vertragsrücktritt den Verkäufer wegen Verletzung von Rücksichtnahmepflichten gem. § 241 BGB auch im Rückgewährverhältnis im besonderen Einzelfall schadensersatzpflichtig machen.