FG Köln (V. Senat) 5 K 308/22
Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs bei Weiterveräußerung eines ursprünglich erworbenen Miteigentumsanteils

15.07.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

FG Köln (V. Senat)
14.06.2023
5 K 308/22
EFG 2024, 158

Leitsatz | FG Köln (V. Senat) 5 K 308/22

  1. „Rückgängig gemacht“ ist ein Erwerbsvorgang, wenn die Vertragspartner sich über die zivilrechtliche Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts hinaus derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt.
  2. Um eine Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs i. S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG auszuschließen, muss auch im Falle der Zusammenfassung von Aufhebungs- und Weiterveräußerungsvertrag in einer einzigen Urkunde hinzukommen, dass der Ersterwerber die verbliebene Rechtsposition (auch) in seinem eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hat.
  3. Ist dem Ersterwerber das weitere Schicksal des Grundstücks indes gleichgültig, so hindert die Benennung eines Ersatzkäufers nicht die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Allein das beim Ersterwerber vorhandene Ziel, den Kaufvertrag nicht erfüllen zu müssen und die mit der Nichterfüllung des Vertrags verbundenen wirtschaftlichen, finanziellen und sonstigen Folgen vermeiden zu wollen, begründet kein der Anwendbarkeit des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG entgegenstehendes eigenes (wirtschaftliches) Interesse des Ersterwerbers an der Weiterveräußerung des Grundbesitzes.

Sachverhalt | FG Köln (V. Senat) 5 K 308/22

Mit notariellem Vertrag erwarb die Klägerin zusammen mit ihrem damaligen Lebensgefährten (L) von den Eheleuten N ein Grundstück zu jeweils 50% Anteil. Es wurde festgesetzt, dass die Zahlung des Kaufpreises erst ein Jahr später, nach Fertigstellung eines altersgerechten Objekts auf dem Grundstück, erfolgen sollte. Eine Auflassungsvormerkung für die Käufer wurde im Grundbuch allerdings bereits eingetragen und die Grunderwerbssteuer für das Grundstück von der Klägerin gezahlt. Im Frühjahr 2021, noch vor der Kaufpreiszahlung, trennten sich die Klägerin und L. Angesichts dessen war ein gemeinsamer Grundstückserwerb seitens der Käufer nicht mehr erwünscht, die Veräußerer hingegen waren nach wie vor an der Abwicklung des Kaufvertrags interessiert. L wollte das Grundstück auf Grundlage des abgeschlossenen Kaufvertrages nun alleine erwerben, während die Klägerin ohne Nachteile aus den kaufvertraglichen Verpflichtungen und Darlehensvertrag mit der Bank entlassen werden wollte.

Vor diesem Hintergrund schlossen die Vertragsbeteiligten einen weiteren notariellen Kaufvertrag, mit dem der vorherige Kaufvertrag hinsichtlich des Erwerbs des Anteils der Klägerin rückgängig gemacht wurde. Die Auflassungsvormerkung wurde für die Klägerin gelöscht und ihre Grundschuld von L übernommen. Der Notar übersandte anschließend den von ihm als Änderungsurkunde bezeichneten Vertrag an das Finanzamt, mit dem er den Alleinerwerb des L anzeigte und die Aufhebung der Steuerfestsetzung gem. § 16 Abs. 1 GrEStG für die Klägerin beantragte. Der Beklagte lehnte diesen Antrag ab, denn es handele sich nicht um eine echte Rückgängigmachung, sondern um eine Vertragsübernahme, die nicht zur Aufhebung der Steuerfestsetzung führe. Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos. In der Einspruchsentscheidung führte der Beklagte auf, es sei im Streitfall nur eine formelle Rückgängigmachung erfolgt, eine tatsächliche Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs allerdings nicht. Der Umstand, dass Aufhebungs- und Weiterveräußerungsvertrag in einer Urkunde zusammengefasst worden sind, sei ein Indiz dafür, dass der Verkäufer seine ursprüngliche Rechtsposition nicht wiedererlangt hat und eine tatsächliche Rückgängigmachung nicht geschehen ist. Die Klägerin ist indes der Auffassung, es handele sich hierbei um ein sog. „verunglücktes“ Grundstücksgeschäft und falle gerade unter die Korrekturvorschrift des § 16 GrEStG. Deshalb beantragt sie unter Aufhebung der Ablehnungsentscheidung und der Einspruchsentscheidung den Beklagten zu verurteilen, die Grunderwerbsteuerfestsetzung auf Grundlage des § 16 Abs. 1 GrEStG aufzuheben.

Entscheidung | FG Köln (V. Senat) 5 K 308/22

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Grunderwerbsteuerfestsetzung gegen die Klägerin war auf Grundlage des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG aufzuheben, weil der Erwerbsvorgang rückgängig gemacht wurde, obwohl das Ausscheiden der Klägerin und der Weiterverkauf des von ihr erworbenen Miteigentumsanteils durch die Grundstücksverkäufer in einer notariellen Urkunde zusammengefasst worden sind. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG wird eine Steuerfestsetzung u.a. aufgehoben, wenn ein Erwerbsvorgang rückgängig gemacht wird, bevor das Eigentum am Grundstück auf den Erwerber übergegangen ist und wenn die Rückgängigmachung innerhalb von zwei Jahren seit Entstehung der Steuer stattfindet. „Rückgängig gemacht“ ist ein Erwerbsvorgang, wenn, über die zivilrechtliche Aufhebung des Steuertatbestand erfüllende Rechtsgeschäft hinaus, die Vertragspartner sich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt.

Es ist demnach entscheidend, ob für den früheren Erwerber trotz Vertragsaufhebung die Möglichkeit der Verwertung einer Rechtsposition verblieben war und der Verkäufer demzufolge nicht aus seinen Bindungen entlassen wurde. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn Aufhebungs- und Weiterveräußerungsvertrag in einer einzigen Urkunde zusammengefasst sind. Dem Erwerber verbleibt so die Möglichkeit, die Aufhebung des ursprünglichen Kaufvertrags zum anschließenden Grundstückserwerb durch eine von ihm ausgewählte Person zu nutzen. Der Veräußerer auf der anderen Seite wird aus seiner Übereignungspflicht gegenüber dem ersten Erwerber mit Unterzeichnung des Vertrags durch alle Beteiligten entlassen und damit erst in dem Augenblick, in dem er bereits dem zweiten Erwerber zur Übereignung verpflichtet ist. Eine Umgehung wäre mühelos möglich, wenn Aufhebung des ursprünglichen und Abschluss des neuen Kaufvertrags nacheinander beurkundet werden, sodass auch dieser Fall nicht anders zu bewerten sein kann. Das heißt, es müsse ein weiteres Abgrenzungskriterium hinzukommen, um eine Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs i.S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ablehnen zu können. Hierfür kommt es drauf an, ob der Erwerber die verbliebene Rechtsposition in seinem eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hat, also wenn seine Einflussnahme auf die Weiterveräußerung Ausfluss der ihm verbliebenen Rechtsposition ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Ersterwerber wie ein Zwischenhändler auftritt und das Grundstück an den Dritten weiterverkaufen lässt. Ein Rückgängigmachen fällt hier aus. Ist dem Ersterwerber das weitere Schicksal des Grundstücks hingegen gleichgültig, so hindert die Benennung eines Dritten als Ersatzkäufer nicht die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Eigentümer das Grundstück auf jeden Fall verkaufen will und die Benennung eines Ersatzkäufers verlangt. Allein das Ziel, den Kaufvertrag nicht erfüllen zu müssen und die damit verbundenen Folgen, darunter auch mögliche Schadensersatzansprüche, vermeiden zu wollen, stellt kein ausreichendes (wirtschaftliches) Interesse des Ersterwerbers dar, das gegen die Anwendbarkeit von § 16 GrEStG sprechen würde.

Die Entscheidung ist also maßgebend von der Bestimmung der Interessen der beteiligten Personen im Einzelfall abhängig. Hier ging es der Klägerin gerade nicht darum, über das weitere Schicksal des Grundstücks mitbestimmen zu wollen, sondern nur um aus dem Vertrag herauszukommen. L, der nach wie vor das Grundstück kaufen wollte, und die Eheleute N als Veräußerer, hätten einer vollständigen Aufhebung des Geschäfts nicht zugestimmt. L hatte überdies ein Interesse daran, dass der Anteil der Klägerin nicht an eine ihm fremde Person übergeht, sodass er einen Verkauf an einen beliebigen Dritten ebenfalls nicht zugestimmt hätte. Diese Interessenlage aller Beteiligten war nur zu verwirklichen, wenn es bei dieser grundsätzlichen Grundstücksveräußerung blieb. Daher ändert die Einbeziehung des weiteren Erwerbsvorgangs nichts an dem Rückabwicklungsvertrag der Klägerin.

Praxishinweis | FG Köln (V. Senat) 5 K 308/22

Die Revision war von grundsätzlicher Bedeutung wegen möglicherweise abweichenden Urteils des FG Baden-Württemberg v. 18.09.2002 (13 K 235/97) und der anschließenden BFH- Entscheidung v. 28.11.2003 (II B 143/02) und damit zuzulassen. Dieser Fall liegt dem BFH nun zur Entscheidung vor. Es stellt sich die Frage, ob hier lediglich eine Vertragsübernahme oder aber eine Vertragsaufhebung und damit eine Rückgängigmachung vorliegt, wenn bei einem Erwerbsvorgang die Käuferseite ausgetauscht wird und ansonsten alle Regelungen hinsichtlich des Kaufpreises und der weiteren Nebenbestimmungen bestehen bleiben.