BGH II ZR 69/22
Haftung des persönlich unbeschränkt haftenden Gesellschafters für Gerichtskosten des Insolvenzverfahrens und Kosten des Insolvenzverwalters

03.05.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
21.11.2023
II ZR 69/22
NZG 2024, 67

Leitsatz | BGH II ZR 69/22

  1. Bei nachrangigen Zinsforderungen greift die Ermächtigungswirkung nur ein, wenn diese auf eine besondere Aufforderung des Insolvenzgerichts hin zur Tabelle angemeldet werden (§ 174 Abs. 3 S. 1 InsO).
  2. Der persönlich unbeschränkt haftende Gesellschafter einer Personengesellschaft haftet regelmäßig für die Gerichtskosten des über das Vermögen der Gesellschaft eröffneten Insolvenzverfahrens (§ 54 Nr. 1 InsO) sowie die Vergütung und die Auslagen des Insolvenzverwalters (§ 54 Nr. 2 Fall 2 InsO). (Leitsätze des Gerichts)

Sachverhalt | BGH II ZR 69/22

Die später insolvente Gesellschaft bürgerlichen Rechts („GbR“; im Folgenden auch „Schuldnerin“) agierte als Investmentfonds. Im Jahr 1992 erwarb die Schuldnerin ein Grundstück, welches mit einem Einkaufs- und Gewerbezentrum bebaut und von der Schuldnerin vermietet und verwaltet werden sollte. Zur (Teil-)Finanzierung nahm die GbR mehrere Darlehen bei der L-Bank auf. Gemäß den Bedingungen der Darlehensverträge übernahmen die Gesellschafter der Schuldnerin entsprechend ihren Anteilen an der Gesellschaft eine teilschuldnerische Haftung.

Nachdem die GbR die Rückzahlung der Tilgungs- und Zinsraten eingestellt hatte, erklärte die L-Bank im August 2011 die Kündigung sämtlicher Darlehen, stellte Insolvenzantrag für die GbR und meldete die Forderungen aus den Darlehensverträgen zur Insolvenztabelle an. Spätere meldete die L-Bank ohne vorherige Aufforderung des Insolvenzgerichts auch nachrangige Zinsforderungen zur Tabelle an.

Der Insolvenzverwalter, Kläger in diesem Fall, forderte nun von der Beklagten (einer Gesellschafterin der GbR) einerseits die anteilige Darlehensrückzahlung entsprechend ihrer Beteiligungsquote und andererseits die Zahlung für die Kosten des Insolvenzverfahrens (u.a. Gerichtskosten, Vergütung und Auslagen des Insolvenzverwalters) im Wege der Teilklage.

Das LG Frankenthal entschied zugunsten des Klägers bezüglich der anteiligen Darlehensrückzahlung, wies jedoch die Teilklage bezüglich der Kosten des Insolvenzverfahrens ab. Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil wurde vom BerGer. abgelehnt. Die Berufung der Beklagten führte dazu, dass das BerGer. die Klage insgesamt abwies. Der behauptete Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens sei nicht schlüssig dargelegt. Der Kläger hatte Zinsforderungen in die Berechnung einbezogen, zu deren Geltendmachung er nicht einziehungsbefugt sei. Zudem bestehe nach vorherrschender Meinung keine Gesellschafterhaftung nach § 128 HGB aF analog für die Kosten des Insolvenzverfahrens.

Der Kläger setzt sein Zahlungsbegehren mit einer vom Senat zugelassenen Revision fort.

Entscheidung | BGH II ZR 69/22

Die Revision des Klägers hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das BerGer.

Der BGH führt aus, dass der rechtliche Ausgangspunkt des BerGer. zutreffend sei, der Kläger also zunächst einen (anteiligen) Darlehensrückzahlungsanspruch gem. § 488 Abs. 1 S. 2 BGB, § 128 HGB a.F. habe. Auch greife die Ermächtigungswirkung nach § 93 InsO – wie das BerGer. bereits festgestellt hatte – bei nachrangigen Zinsforderungen nur ein, wenn diese auf eine besondere Aufforderung des Insolvenzgerichts hin zur Tabelle angemeldet werden (§ 174 Abs. 3 S. 1 InsO). Da die L-Bank diese gem. § 39 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fall 1 InsO nachrangigen Zinsforderungen angemeldet habe, ohne dazu vom Insolvenzgericht besonders aufgefordert worden zu sein, stehe dem Kläger also keine Einziehungsermächtigung für die seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen und in seine Forderungsberechnung miteinbezogenen laufenden Zinsforderungen der L-Bank zu.

Nicht vertreten hat der BGH jedoch die Ansicht des BerGer., dass wegen des Einstellens von Zinsen in die Forderungsberechnung der Klageanspruch schon nicht schlüssig dargelegt worden sei. Das BerGer. hätte die Forderungshöhe selbst berechnen können und müssen.

Darüber hinaus stellt der BGH fest, dass der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung der Kosten des Insolvenzverfahrens ebenfalls begründet sei. Die persönlich haftenden Gesellschafter einer Personengesellschaft würden auch für die Kosten des Insolvenzverfahrens (im vorliegenden Fall § 54 Nr. 1 und Nr. 2 Fall 2 InsO) haften. Dies entspreche dem allgemeinen Grundsatz im bürgerlichen Recht, wonach persönlich haftende Gesellschafter für alle Verpflichtungen aus ihrem Geschäftsbetrieb haften, solange sich nichts anderes aus dem Gesetz ergibt.

Zwar sei § 128 HGB a.F. insoweit teleologisch zu reduzieren, dass der Gesellschafter einer Personengesellschaft in der Insolvenz der Gesellschaft nicht für vom Insolvenzverwalter begründete Verbindlichkeiten hafte, auf deren Entstehung der Gesellschafter keinen Einfluss habe und die im Gläubigerinteresse eingegangen wurden. Diese Einschränkung des Anwendungsbereichs der Norm greife allerdings nicht für die Kosten des Insolvenzverfahrens. Diese seien nämlich bei Insolvenzeröffnung bereits im Grunde angelegt. Außerdem habe ein Gesellschafter Einfluss auf die Entstehung des Eröffnungsgrundes.

Die Frage, ob die Haftung des Gesellschafters zu beschränken ist, wenn und soweit die Verfahrenskosten auf der Fortführung des Unternehmens im Insolvenzverfahren beruhen, hat der BGH offengelassen.

Praxishinweis | BGH II ZR 69/22

Mit dem vorliegenden Urteil entschied der 2. Zivilsenat des BGH – entgegen der wohl überwiegenden Ansicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung und Literatur – die lang umstrittene Frage, ob die persönlich haftenden Gesellschafter einer Personengesellschaft auch für die Kosten des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft haften. Auch der 4. Zivilsenat hatte in der Vergangenheit anders entschieden (BGH vom 24.09.2009 – IX ZR 234/07), teilte auf Anfrage des II. Zivilsenats aber mit, an seiner anderslautenden Ansicht nicht festhalten zu wollen.

Die Rechtssprechungsänderung des BGH stellt eine erhebliche Verschärfung für die Haftungsregelungen innerhalb von Gesellschaften (GbR, oHG & KG) dar und betont die Verantwortung der Gesellschafter, auch im Falle von Insolvenzen finanzielle Verpflichtungen zu übernehmen. Diese Haftungsverschärfung darf beispielsweise nicht unterschätzt werden, wenn dem Insolvenzverwalter aufgrund einer hohen Masse eine hohe Grundvergütung zusteht oder hohe Zuschläge auf die Grundvergütung festzusetzen sind.

Zudem gilt zu beachten, dass die neue Rechtsprechung des BGH auch Einfluss auf jene Insolvenzsituationen haben wird, bei denen zuvor aufgrund fehlender Verfahrenskostendeckung der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen worden ist (§ 26 InsO). Da fortan die persönlich haftenden Gesellschafter für die Verfahrenskosten haften, sind diese Ansprüche – bei entsprechender Realisierungsaussicht – bereits bei der Prüfung der Verfahrenskostendeckung zu berücksichtigen.

Es wird zu erwarten sein, dass die Durchsetzung der Haftung für Insolvenzverfahrenskosten zum Standardverfahren avanciert (auch aufgrund des Risikos einer eigenen Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 InsO bei Unterlassen).