BFH II R 34/20
Jastrow‘sche Klausel im Berliner Testament – Besteuerung eines betagten Vermächtnisses

01.05.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
11.10.2023
II R 34/20
BeckRS 2023, 43731

Leitsatz | BFH II R 34/20

  1. Setzen Ehegatten in einem sog. Berliner Testament sich gegenseitig als Alleinerben ein und gewähren denjenigen Kindern ein betagtes Vermächtnis, die beim Tod des Erstversterbenden ihren Pflichtteil nicht fordern (sog. Jastrow‘sche Klausel), kann der überlebende Ehegatte als Erbe des erstversterbenden Ehegatten die Vermächtnisverbindlichkeit nicht als Nachlassverbindlichkeit in Abzug bringen, da das Vermächtnis noch nicht fällig ist.
  2. Das Kind hat den Erwerb des betagten Vermächtnisses bei dem Tod des überlebenden Ehegatten als von diesem stammend zu versteuern. Ist es zugleich Erbe des zuletzt verstorbenen Ehegatten, kann es das Vermächtnis als Nachlassverbindlichkeit in Abzug bringen.

Sachverhalt | BFH II R 34/20

Die Eltern der Klägerin verfassten ein sog. Berliner Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten, wobei der überlebende Ehegatte über den Nachlass und sein eigenes Vermögen frei verfügen konnte. Zudem setzten die Eheleute die Klägerin und drei ihrer Schwestern (A, B und C) als Erben des Überlebenden ein (sog. „Schlusserben“). Der Bruder (D) und eine weitere Schwester (E) wurden enterbt.

Darüber hinaus enthielt das Testament der Eheleute eine sog. Jastrowsche Klausel. Diese Klausel regelt für den Fall, dass eines der Kinder auf den Tod des zuerst Versterbenden den Pflichtteil verlangen sollte, dieses Kind auch vom Nachlass des überlebenden Ehegatten nur den Pflichtteil erhalten sollte. Diejenigen zu Erben des Überlebenden ernannten Geschwister, die den Pflichtteil beim Tod des Erstverstorbenen nicht fordern, würden in diesem Fall aus dem Nachlass des Erstverstorbenen ein erst beim Tod des länger lebenden Ehegatten fälliges Vermächtnis in Höhe des Pflichtteils erhalten.

Lediglich die enterbten Geschwister der Klägerin D und E machten nach dem Tod des erstverstorbenen Vaters ihren Pflichtteilsanspruch geltend. Daher erwarb die Klägerin beim Tod ihres Vaters ein entsprechendes Vermächtnis, welches mit dem Tod der Mutter fällig wurde.

Nach dem Tod der Mutter setzte das Finanzamt gegenüber der Klägerin Erbschaftssteuer für den Erbfall nach der Mutter fest. Dabei wurde das Vermächtnis weder dem Erwerb hinzugerechnet noch wurde es als Nachlassverbindlichkeit in Abzug gebracht. Die Klägerin war jedoch der Ansicht, das Vermächtnis sei bei ihr doppelt hinzugerechnet worden und deshalb als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig.

Das Finanzgericht Hamburg (FG Hamburg v. 21.02.2020 – 3 K 191/18) wies die Klage als unbegründet zurück. Hiergegen ging die Klägerin revisionsrechtlich vor.

Entscheidung | BFH II R 34/20

Der BFH teilte die Auffassung des Finanzgerichts Hamburgs und stellte fest, dass im Streitfall das Vermächtnis bei der Klägerin nicht doppelt besteuert worden sei.

Zunächst sei der Wert des Vermächtnisses nach dem Tod des zuerst verstorbenen Vaters bei der Mutter, als dessen Alleinerbin, besteuert worden. Obwohl das Vermächtnis zu diesem Zeitpunkt bereits entstanden sei, sei dieses erst fällig geworden, als die Mutter verstarb. Der Nachlass des Vaters sei somit unvermindert auf die Mutter übergegangen, einschließlich des Vermögens, aus dem das Vermächtnis erfüllt werden sollte. Die Mutter könne die Verpflichtung aus dem Vermächtnis bei ihrem Erbe nicht abzugsfähig berücksichtigen, da sie diese Schuld mangels Fälligkeit nicht begleichen musste.

Nach dem Tod des überlebenden Ehegatten habe die Klägerin das Vermächtnis, welches aufgrund der Jastrowschen Klausel mit dem Tod des zuerst verstorbenen Vaters angefallen ist, aber erst bei Ableben der Mutter fällig geworden ist, aufgrund der Fiktion des § 6 Abs. 4, Abs. 2 S. 1 ErbStG gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 ErbStG als von der Mutter stammend zu versteuern.

Zudem unterliege bei ihr als Schlusserbin der Nachlass der Mutter der Erbschaftssteuer nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 ErbStG. In diesem Zusammenhang könne sie die fällige Vermächtnisverbindlichkeit als Nachlassverbindlichkeit nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG vom Nachlass der Mutter abziehen.

Gemäß diesen Ausführungen liege auch keine Doppelbesteuerung im engeren Sinne vor, da es sich um zwei zeitlich nacheinander erfolgende Erwerbsvorgänge von unterschiedlichen Erblassern mit unterschiedlichen Begünstigten handele und somit unterschiedliche Lebenssachverhalte gegeben seien.

Demzufolge unterliege das betagte Vermächtnis bei der Klägerin lediglich einmal der Besteuerung.

Im vorliegenden angefochtenen Bescheid sei keine doppelte Besteuerung des betagten Vermächtnisses aufgrund zweifacher „Hinzurechnung“ erfolgt. Das Finanzamt habe bei der Klägerin weder das betagte Vermächtnis gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 ErbStG besteuert noch die Vermächtnisverbindlichkeiten als Nachlassverbindlichkeit i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG in Abzug gebracht. Da sich beide Positionen im Ergebnis ausgleichen, sei die Klägerin nicht doppelt besteuert worden. Folglich sei der angefochtene Erbschaftsteuerbescheid rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Praxishinweis | BFH II R 34/20

Hinsichtlich Jastrowschen Klauseln gilt es zu beachten, dass das betagte Vermächtnis im Ergebnis zweimal der Erbschaftssteuer unterliegt – zunächst bei dem überlebenden Ehegatten (ohne Abzugsmöglichkeit als Nachlassverbindlichkeit) und ein weiteres Mal bei dem eingesetzten Vermächtnisnehmer. Dies ist nach Ansicht des BFH jedoch dem System immanent und daher rechtlich nicht zu beanstanden. Weiterhin nicht außer Acht gelassen werden darf die Tatsache, dass durch die Verwendung einer Jastrowschen Klausel erbschaftssteuerrechtlich die Freibeträge der beim ersten Erbfall „enterbten“ Kinder i.H.v. 400.000 EUR pro Kind (vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) verloren gehen.

Auf der anderen Seite bietet die Jastrowsche Klausel als eine spezielle Pflichtteilsstrafklausel die Möglichkeit, den überlebenden Ehegatten mit ausreichend Liquidität auszustatten und ihn beispielswiese vor einem Notverkauf von Immobilienvermögen zur Befriedigung von Pflichtteilsansprüchen zu bewahren. Eine Umgehung der doppelten Besteuerung lässt sich nur zulasten dieses soeben genannten Vorteils erreichen, indem das Vermächtnis nicht erst beim Tod des länger lebenden Ehegatten, sondern bereits beim Tod des erstversterbenden Ehegatten entsteht und fällig wird.

In jedem Falle sollten bei der Verwendung einer Jastrowschen Klausel in einem Berliner Testament die erbschaftssteuerrechtlichen Folgen sorgfältig bedacht werden.